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Tanz der Befreiung

■ Große Schul-Fete zum 8. Mai / „Hitler würde sich im Grab umdrehen“

Der 8. Mai 1945 – ein Tag der Befreiung oder der Tag des Zusammenbruchs? Und der 50. Jahrestag am kommenden Montag – ein Anlaß zu Trauer und Besinnung oder etwa ein guter Grund zum Feiern? Die SchülerInnen des SEK-II-Zentrums an der Walliser Straße in Osterholz haben sich für die Party entschieden. Und die steigt am Montag, 8. Mai 1995, ab 19 Uhr im „Modernes“ in der Neustadt. Mitfeiern werden auch einige Gäste aus den Partnerschulen aus Hengelo in den Niederlanden und Sonderburg in Dänemark.

„Für uns ist das doch ein Freudentag“, sagt Schülersprecher Michael Liebschwager mit der Hip-Hop-Mütze, „stell Dir mal vor, Hitler hätte den Krieg gewonnen, dann hätte es keinen Swing gegeben. Und ohne Swing auch keinen Tekkno. Dann hätten wir bloß Marschmusik in Deutschland. Das wäre doch der Horror!“ Und sein Schulsprecher-Kollege Tim Riemer freut sich mit Blick auf die erwarteten ausländischen Gäste: „Hitler würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüßte, daß wir den 8. Mai mit seinen Feinden feiern.“

Am Anfang der Idee stand zwar „ein Schubs“ von zwei Lehrern, wie Michael einräumt, doch dann war sich auch die SchülerInnenvertretung der Walliser Straße schnell einig, daß der 8. Mai genau der richtige Tag wäre, die historische Entscheidung für gute Musik und das bessere Leben ohne Krieg ausgiebig zu feiern. Mehrere Schülerbands werden dazu aufspielen, eine türkische Folkloregruppe und eine Breakdance-Vorführung sollen für das nötige internationale Flair sorgen. Und die DJ's werden von Swing bis Tekkno auflegen, was sich seit 1945 gut tanzen läßt.

Während die Feten-Idee bei den SchülerInnen auch anderer Schulen sofort gut ankam, gab es unter den LehrerInnen der Walliser Straße auch Einwände. „Die Feier war im Kollegium umstritten“, sagt Schulleiter Grünwald, „wozu soll man ausländische Jugendliche einladen und sie bitten: Feiert mit uns und vergebt uns“, hätten einige Kollegen eingewandt. Und andere fragten: „Wäre das nicht eine verordnete Freude, wenn wir hier ein Schulfest zum 8. Mai anregen?“ Weitgehend beruhigt wurden die Einwände inzwischen durch die Organisation eines „Projekttags“, bei dem am Vormittag des 8. Mai das Thema in der Schule nun auch historisch-theoretisch behandelt werden wird.

Die SchülerInnenvertretung konnte die Bedenken sowieso nicht teilen. „Für Ältere ist das vielleicht auch ein Tag zum Trauern, wenn sie viel Leid zu tragen hatten“, sagt Schulsprecher Michael, „aber für unsere Generation gilt das nicht mehr.“ In anderen Ländern werde der Tag schließlich auch gefeiert, warum also nicht in Bremen. Und gerade die Gäste aus den Nachbarländern seien dafür wichtig. Tim: „Die haben schon angekündigt, daß sie am Abend auch eine Rede halten wollen. Ich bin sehr gespannt, was sie sagen werden.“

Unterstützung gab es für diese Einstellung auch von Lehrern. Wolfram Stein, einer von ihnen, sagt: „Ich verstehe überhaupt nicht, warum unsere 68er-Generation nicht dazu in der Lage war, diesen Tag zu feiern. Daß ist doch ausgesprochen schade.“ Und ein Kollege sieht darin eine Generationsfrage: „Erst heute ist das Thema für die Jugendlichen wirklich unbeschwert.“

Ganz so einfach, korrigiert Schulsprecher Michael Liebschwager, ist die Frage allerdings auch heute noch nicht: „Als wir neulich zu einem Fußballturnier in Holland waren, sind wir als Deutsche bespuckt und beschimpft worden. Deshalb wollen wir den anderen jetzt zeigen, daß der 8. Mai auch für uns ein Freudentag ist, daß wir mit Hitler wirklich nichts am Hut haben wollen.“ Ase

Karten-Vorverkauf für die 8.-Mai-Party über die Gesamtschülervertretung, Tel. 361-3185 oder das Sekretariat der SEK-II Walliser Straße, Tel. 421047 für vier Mark, Abendkasse fünf Mark.

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