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Die Christo-Marketing-Show

Christo verkauft sich nicht selbst – er ist! Ein Spektakel wird inszeniert und inszeniert uns mit / Danach wird der Reichstag nie wieder der alte sein  ■ Von Rolf Lautenschläger

Mit der legendären Postkarte an Christo, auf der eine Ansicht des Reichstags abgebildet war, begann es. Mit der Verhüllung und Verfremdung des historischen Gebäudes im Juni wird der über zwanzigjährige „Kunst-Prozeß“ aus öffentlicher Diskussion und Verpackung enden. Nicht erst nach der „ästhetischen Zäsur“, wie der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse einmal meinte, werde der Reichstag nicht mehr der alte sein. Bereits mit dem künstlerischen Einschnitt beginne eine neue Ära des Hauses.

Thierse hat recht. Es gehört zum Christo-Projekt „Verhüllter Reichstag“, daß sich der Akt der Verpackung und die industrielle Herstellung der Hülle immer mehr in ein Schauspiel verwandeln. Denn die punktuelle Beleuchtung und die Einbeziehung alltäglicher Prozesse gehört zur Dramaturgie von Christos Kunstaktionen, die deshalb kaum einer losgelösten Werbung bedürfen. „Wir führen hier kein Verkaufsbüro und wir betreiben auch keinen kommerziellen Handel mit dem Projekt und dem Stoff“, sagt die Pressechefin Pamela Groß vom Berliner Christo-Büro „Verhüllter Reichstag GmbH“. Das Büro sei für den Aufbau und für die Finanzierung zuständig, nicht für begleitende Veranstaltungen und ähnliches. Wer dennoch Originalzeichnungen kaufen wolle, dem werde „ein Kontakt“ zu Christo nach New York oder zu speziellen Galerien vermittelt.

Marketing funktioniert bei Christo und Jeanne-Claude anders als über Werbung und den Verkauf von Stoffetzen. Sie nutzen die silbrig schillernde Hülle als Projektionsfläche, um sich selbst, das Material, seine Verarbeitung, Montage und die Entsorgung in Szene zu setzen. „The Wrapped Reichstag“ gleicht einem gut taxierten Kommando-Unternehmen.

Die beiden Geschäftsführer des von Christo und seiner Frau Jeanne-Claude eingerichteten „Büros“ – Wolfgang Volz, der Exklusivfotograf des bulgarischen Künstlers, und Roland Specker – beschäftigen sich mit „Fragen der Gerüstmontage, dem Verpackungsstoff, der Kalkulation und Organisation“. Doch schon die Größe dieser Vorhaben reicht aus für globale mediale Wirkung.

Die Finanzierung des 11,5 Millionen Mark teuren „temporären Kunstwerks“ aus eigenen privaten Mitteln grenzt an Überirdisches. Das Stoffgewebe und dessen Herstellung mit 70.000 Kilometer Webgarn, 100.000 Quadratmeter Polypropylen-Gewebe mit einem Gesamtgewicht von über 615.000 Kilogramm sprengt bislang dagewesene Dimensionen. Der mit Aluminium beschichtete Stoff bedeckt genau berechnete Fassadensegmente.

Insgesamt 70 Paneele sollen ab dem 17. Juni von einem Heer von Kletterern und Gerüstarbeitern zusammengetackert werden. Die fließende Hülle wird dabei über spezielle Gerüste geworfen, die turmhoch über dem Reichstag stehen. Bahn für Bahn entstehen derzeit die Kunsthüllen in Handarbeit und mit traditionellen Maschinen, wobei den Näherinnen in Taucha die Finger bluten und die Achterberger Webstühle rattern wie im Märchen.

Rund 250 Tonnen Stahlgerüste von der Stahlbau-Zwickau werden über das Dach des Reichstags gestülpt, um dem Tuch eine klare Linie und dem Gebäude eine neue Kontur zu geben. Vertaut werden die Stoffbahnen schließlich mit mehreren, insgesamt 16 Kilometer langen blauen Seilen, die den Reichstag wie ein Paket verschnüren, aber auch aussehen, als wollten sie ein Luftschloß am Boden halten. Der Kunstgroßmeister agiert dabei wie ein Tycoon und Zauberer. Mal taucht er auf, mal demonstriert er Tuch und Faden, mal hält er Hof und erklärt die Mega-Packung als „flüchtiges einmaliges Projekt für Berlin“, dessen „physische Realität sich als dramatisches Erlebnis“ erweisen werde. Die Einzigartigkeit in Zeiten der Vergänglichkeit.

Christo ist der Regisseur eines Spektakels, das jedem beteiligten Arbeiter, genehmigenden Beamten, Besucher und Journalisten seinen „ästhetischen Erlebnispart“ zuschreibt und damit den Hunger der Medien noch anheizt.

So schafft der Künstler, was Berliner oder Bonner Politiker erst nach harter Überzeugungsarbeit für die Stadt schafften, was weder olympische (Alp-)Träume noch der Umzugsbeschluß der Bundesregierung leisten konnte: ein Großereignis nach Berlin zu locken. Schon rüsten sich die Galerien und Kunstvereine, Verwaltungen und Kunstämter der Stadt, um von Christos Glamour zu profitieren und vom Strom der Besucher kleine Rinnsale abzuzweigen. Und es kommt, was Christo will: Man kann ihm nicht entkommen.

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