Der Förstervater vögelt Flinten (das geht!)

Dortmund: Mit „The Black Rider“ von Wilson/Waits/Burroughs wagt ein kleines Theater die Duplikation des Hamburger Unikats, reitet auf der Musical-Welle und schwimmt dabei gleichzeitig doch gegen den Strom  ■ Von Gerhard Preußer

Im Wald, da hausen Urmenschen, Erbförster, weise Frauen. Im deutschen Wald, da hausen Urmenschen, Waffenfetischisten, Teufelsweiber. In Carl Maria von Webers deutscher Nationaloper „Der Freischütz“ hört man auch das bedrohliche Krachen im Unterholz des deutschen Waldes, nicht nur das sanfte Wipfelrauschen.

Im Hamburger Thalia Theater haben die Amerikaner Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs daraus 1990 ein allseits bejubeltes „Kunst-Musical“ gemacht, in dem der deutsche Waldeshorror nur als cinematographische Reminiszenz an die Stummfilmzeit erkennbar wurde.

Das kleine Dortmunder Schauspiel wagte das Unmögliche und duplizierte das Unikat. Das Imitat ist zwar nicht Broadway-tauglich wie das Original, dafür aber härter, billiger und – oh Graus – deutscher. Michael Simon, sonst Bühnenbildner für Heiner Goebbels am Frankfurter TAT, beweist mit seiner Inszenierung nicht nur, daß man das Hamburger Großprojekt mit einfachen Mitteln nachspielen kann, sondern auch, daß etwas ganz anderes dabei entstehen kann.

Schwarz ist die Bühne, öd und leer. Nebel wabert, der Wald hängt als Riesenstamm drohend in der Luft, krachend schlägt die dicke Eisenkugel ein, es blitzt, der deutsche Donner rollt. Der Förstervater vögelt Flinten (ja, das geht!), die Mutter schrubbt zur Marschmusik, und die deutsche Braut trägt Springerstiefel. Der ihr bestimmte Bräutigam wohnt auf dem Hochsitz, wirft mit Knüppeln um sich und macht sich mit gutturalem Brunstgebrüll verständlich: Tarzan im Eichenwald. Der schüchterne Banklehrling paßt da nicht ganz hinein, doch kennt auch er die Bräuche: Über Mehrkornbrötchen kommt man selbst mit diesem Blitzmädel ins Gespräch.

Die Inszenierung geizt nicht mit Verfremdungen und Gags. Käthchen (so heißt Agathe hier noch wie in Webers Vorlage, dem „Gespensterbuch“) steigt auf den Tisch, jongliert mit Eiern, stöhnt „Ei, Ei“, streichelt ein Ei zärtlich wie ein Kind („ei, ei“), dann erst wird das Ziel des Gestammels klar. „I, I, I hate you“, stößt sie heraus und schießt die Eier wie Tontauben ab.

Auch sonst scheut man vor Rohem nicht zurück: Kaum leiert Käthchen: „Wir woll'n es allen sagen, Wilhelm kann jetzt jagen“, trägt dieser ein gehäutetes Kaninchen herein. Und der Teufel Stelzfuß, der hier weiblich ist, tätschelt versonnen eine ganze Rinderleber, während er den Sinnspruch „It ain't no sin / to take off your skin“ von sich gibt.

Diese Teufelin (die Entsprechung zum Samiel in der Oper) singt vor allem teuflisch gut. Sylvie Rohrer als Stelzfuß ist neben Anja Kirchlechner als gestiefeltes Käthchen der Star des Abends. Mit dieser grazilen Humpelhexe tanzt Wilhelm zum Schluß einen wilden Galopp, nachdem er geschossen hatte, wobei die unschuldige Braut von Zauberhand vor die riesige, rotierende Zielscheibe geschoben worden war. Tragisch ist das Ende in Wilsons Fassung, nicht optimistisch wie bei Weber. Das Böse siegt. Die Liebesrebellion im deutschen Wald schlägt fehl. Der Neue Mann treibt's lieber mit dem Teufel. Die Unschuld stirbt singend. Keine Versöhnung.

Was man da sieht und hört, ist vom Musical so verschieden wie Schnaps von Limonade. Die Musiker, geleitet von Volker Griepenstroh, spielen eher frechen Jazz als Tom-Waits-Geschmalze und parodieren jedermann und alles. Das Dortmunder Schauspiel zeigt das Kunststück, wie man auf der Musical-Welle reitet und dabei gegen den Strom schwimmt. Zum Abschied singt uns Stelzfuß dann, auf einem Steg ins Publikum spazierend: „It's so nice to look out and see all the beautiful young faces“. Recht hat sie: endlich junge Gesichter auf der Bühne und im Parkett.

„The Black Rider“ von Wilson/ Waits/Burroughs (Regie: Michael Simon, Theater Dortmund, 2 Std. 15 Min, o.P.) am 13.5., 19.30 Uhr und am 14.5., 19.30 Uhr (danach Publikumsgespräch), Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte. Theatergespräch am 14.5., 12 Uhr, im Theaterzelt vor dem DT.