: „Das muß in München laufen“
Prozeß gegen Plutonium-Schmuggler vor dem Landgericht / Verteidiger spricht von „unzulässiger Tatprovokation“ durch den BND / Zwei Angeklagte gestehen die Tat ■ Aus München Bernd Siegler
„Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, Strukturen möglicher Auftraggeber zu durchleuchten, keinesfalls kann eine Ehrenrettung Gegenstand des Verfahrens sein.“ Bevor der Vorsitzende der 9. Strafkammer beim Münchner Landgericht, Heinz Alert, die eigentliche Verhandlung eröffnet, sieht er sich zu dieser Erklärung genötigt. Damit will er gleich den Erwartungsdruck, der Prozeß gegen die drei wegen Plutonium-Schmuggels angeklagten Spanier und Kolumbianer könne die Hintergründe des Plutonium-Skandals, die Verstrickung von Geheimdiensten und das Fehlverhalten von Politikern durchleuchten, vom Gericht nehmen. Richter Alert geht es nur um den Umfang der strafrechtlichen Schuld des Kolumbianers Justiniano Torres-Benitez (39) sowie der Spanier Julio Oroz-Eguia (49) und Javier Bengoechea-Arratibel (61), die sich wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verantworten müssen. Doch ganz kommt auch Richter Alert um den heißen Punkt nicht herum. Denn auch er weiß genau, daß eine mögliche Tatprovokation durch den BND eine entscheidende Rolle spielt.
Der Antrag des Münchner Rechtsanwalts Werner Leitner, Verteidiger von Torres, kommt ihm jedoch zu früh. Leitner fordert, das Verfahren einzustellen. Der Schmuggel der am 10.8. 1994 auf dem Münchner Flughafen sichergestellten insgesamt 761 Gramm Nuklearmaterials, darunter 363 Gramm waffenfähiges Plutonium 239, sei lediglich das „strafrechtliche Endprodukt einer unzulässigen und extensiven Tatinszenierung und Tatprovokation durch Beamte und V-Leute des BND“.
Hatte Staatsanwalt Fügmann dem Trio in seiner Anklageschrift vorgeworfen, sich in „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten“ befunden zu haben und aufgrund dessen „durch den Handel mit zur Herstellung von Atomwaffen geeigneten Substanzen nicht nur vorübergehend eine Einnahmequelle von einigem Gewicht“ verschaffen zu wollen, sieht Leitner die Entstehungsgeschichte der Tat „insbesondere im Gewinnstreben“ der beiden BND-V-Leute „Rafa“ und „Roberto“. Diese hätten als „professionelle Verbrechensanimateure“ die jetzt vor Gericht stehenden Angeklagten durch „Inaussichtstellung immenser Gewinne zur gegenständlichen Straftat angestiftet“ und den Tatort in die Bundesrepublik verlagert. Dies sei von „größter wirtschaftlicher Bedeutung“ für die V-Männer gewesen, da ihre Vergütung vom strafrechtlichen Erfolg des Unternehmens abhängig war.
Zudem habe das BKA bereits im Juni 1994 entschieden, nicht in Verhandlungen über Kriegswaffengeschäfte in Spanien einzusteigen mit dem Ziel, die Anbieter nach Deutschland zu locken. Also, so Leitner, habe der BND „dem Bayerischen Landeskriminalamt anstelle des sensiblen BKA – und damit dem Pragmatismus vor dem Recht den Vorzug“ gegeben.
Während sich Staatsanwalt Fügmann „aufgrund der Vielzahl der Vorwürfe“ nicht in der Lage sieht, zu dem umfangreichen Antrag Leitners überhaupt Stellung zu beziehen und sich in hilflose Gesten flüchtet, lehnt die Strafkammer nach kurzer Beratung den Antrag auf Einstellung des Verfahrens ab. „Es gebe kein Verfahrenshindernis“, urteilt Alert.
Von den drei Angeklagten will sich Torres nicht zur Sache äußern. Bengoechea dagegen bestätigt, im April und Mai letzten Jahres auf die Beschaffung von „Osmium“ angesprochen worden zu sein. BND-Mann „Rafa“ sei mit im Spiel gewesen sowie ein „großer, braungebrannter, gut Spanisch sprechender Deutscher“. Dieser Deutsche, so Bengoechea, habe dann Plutonium ins Spiel gebracht und darauf gedrängt, daß die Operation „unbedingt über München“ abgewickelt werden müßte. Oroz legte ein Geständnis ab. „Rafael“ habe ihm erkärt, das Plutonium solle in ein Land gehen, „wo der, der dort an der Regierung sei, erschreckt“ werden solle. Er bereue seine Tat heute tief und habe sich nur aus wirtschaftlicher Not dazu verleiten lassen.
Aus späteren Treffen schloß Bengoechea, daß „Rafa“ und der Deutsche sehr enge Freunde sein müßten. Laut Spiegel handelt es sich bei dem Deutschen sehr wahrscheinlich um den BKA- und BND-V-Mann „Roberto“ aus Hessen, der bereits mehrfach mit V-Mann „Rafa“ im Drogenbereich tätig war. Das Verfahren wird morgen fortgesetzt.
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