Unchristliche Seefahrt

■ Im Kino 46: „Das Totenschiff“- eine mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Reportage eines Bremer Filmemachers

4000 Meter tief ist das Meer im Golf von Biskaya, wo vor fünf Jahren ein Schiff bei schwerer See kenterte und in Minutenschnelle unterging. Niemand von der Besatzung - drei Deutsche, fünf Polen und vier Inder - überlebte das Unglück. Unglück? Der Bremer Filmemacher Winfried Huismann fand nach aufwendiger Recherche heraus: 12 Seeleute mußten sterben, weil ein Lübecker Reeder unbedingt Profit machen wollte. Auf Biegen und Brechen sollte der marode und überladene Frachter „Scantrader“ termingerecht von Bilbao in England ankommen . Weil dieses Unternehmen keiner überlebte, mußte sich Huismann in seiner, mit dem begehrten Adolf-Grimme-Preis –95 ausgezeichneten, Reportage an aussagewillige Dritte halten - etwa an den Technischen Inspektor, der noch mit Fotos belegen kann, in welch schlechtem Zustand sich die Maschinen des „Totenschiffs“, das dem Film den Titel gab, vor der Havarie befanden.

Beim Oberseeamt, das dem fahrlässigen Verhalten des Reeders nachgehen sollte, winkt man ab: nicht zuständig. Eine Lücke im Seerecht bewirkt, daß deutsche Schiffe, die unter ausländischer Flagge fahren, juristisch unangreifbar sind. Auch ließ der Lübecker Reeder Beutler die „Scantrader“ über eine maltekische Briefkastenfirma laufen, die jedoch zu 100 Prozent zur Familie gehört. So entledigte er sich gleichermaßen der Strafverfolgung und der Sozialversicherung für die Besatzung. 10.000 Mark pro Fahrt verdiente Beutler daran, schrottreife Schiffe mit gefälschten Stabilitätspapieren übers Meer zu hetzen - und den Kapitän in Sicherheit zu wiegen. Statt nämlich, wie vorgeschrieben, 220 Tonnen Wasserballast mitzuführen, ordnete der Reeder an, die Ladung zu vergrößern. Erst recht zum „Totenschiff“ wird die „Scantrader“ durch ein Leck im Rumpf, das die Mannschaft auf der Fahrt bekämpfen muß. Und wohl nur auf Druck des Reeders ließ der Kapitän angesichts des Zustandes des Schiffes die Anker lichten.

Die Hinterbliebenen der toten indischen Matrosen, in Sklavenhaltermanier angeheuert, warten bis heute auf die Auszahlung der Versicherungssumme. Bei den polnischen ließ sich der Reeder immerhin ein Jahr Zeit - Zinsgewinne trösten über Gewissensbisse hinweg. Mehrfach gab Huismann dem Reeder Gelegenheit, sich dazu zu äußern, daß er 12 Seeleute auf dem Gewissen habe. „Sie sind ein großes Arschloch“, reichte dem Reeder als Antwort.

Doch wohl kaum dem Gericht, vor dem sich Beutler nach der Fernsehausstrahlung des „Totenschiffs“ im vergangenen Jahr doch noch verantworten muß. Dank der akribischen Recherche Huismanns lautet die Anklage gegen den skrupellosen Reeder auf Mord in 12 Fällen. Ein Einzelfall? Kaum, meint der Filmemacher. 10.000 Seeleute sind in den letzten Jahren ertrunken; und nachdem die „Scantrader“ versunken war, legte sich Reeder Beutler ein neues Schiff zu - für billiges Geld von einer Verschrottungsgesellschaft. Der Filmemacher steht im Anschluß an die Vorführung zur Diskussion zur Verfügung; der Eintritt ist frei.

Alexander Musik

Mittwoch, 20.30, Kino 46, Waller Heerstraße 46