■ Das Portrait: Nachfolgekandidat
Um den Sozialpolitiker Henning Scherf (Jahrgang 1938) war es in den letzten Jahren ruhig geworden. Nachdem er 1985 das Duell gegen Wedemeier um das Amt des Senatspräsidenten verloren hatte, war er als loyaler stellvertretender Bürgermeister eingebunden worden. Als er dann sein Sozialressort verlor und als Bildungs- und Wissenschaftssenator eingesetzt wurde, reduzierte sich seine bundespolitische Rolle – auf dem neuen Feld hat er nie das Profil gewonnen, das in der Sozialpolitik mit seinem Namen einmal verbunden war.
Henning Scherf Foto: Tristan Vaukann
Der studierte Jurist und kurzzeitige Staatsanwalt kam 1971 in das Bremer Landesparlament, 1972 wurde er Landesvorsitzender der SPD. Nach einem kurzen Intermezzo als Finanzsenator wurde er 1979 für fast zehn Jahre Sozialsenator. In dieser Zeit entwickelte Scherf, der innerparteilich als geschickter Taktierer gilt, sein Image als der alle umarmende warmherzige Politiker. Keine Seniorenrunde, in der Scherf nicht seinen Arm um diesen und jenen legte, kein Kindergarten, in der der zwei Meter große Scherf („der lange Henning“) sich nicht auf ein Kinderstühlchen setzte.
Protestdelegationen aus dem Sozial-Milieu gegen die von ihm zu verantwortende Sozialpolitik empfing Scherf mit offenen Armen, und er war bekannt dafür, daß er für das soziale Engagement seiner schärfsten Kritiker noch lobende Worte fand – ohne solche Proteste, pflegte er zu sagen, könne ein Politiker unter Sparzwängen wenig erreichen. Die symbolträchtig nach außen getragene Moral war das Pfund, mit dem er wucherte – bis er das Sozialressort verlassen mußte.
Doch in dem kleinen Bundesland Bremen wußten allzu viele, daß den warmen Worten nicht immer entsprechende Taten folgen konnten. Als der Grüne Ralf Fücks 1985 einmal Opfer der erdrückenden Scherfschen Umarmungs-Strategie wurde, sprach er von einem „Lehrstück der Demagogie“: „Ich jedenfalls wurde um einen Rest Hoffnung ärmer, es knüpfe sich mit Ihrer Person tatsächlich die Bereitschaft zu einer öko-sozialen Neuorientierung der SPD – und zu einem anderen, kooperativen Verhältnis zwischen SPD und Grünen.“ Das war 1985, als Scherf mit einer klaren Absage an jegliche Koalition gegen Wedemeier angetreten und knapp unterlegen war. Auch gestern antwortete der Spitzenbewerber Scherf auf die Frage nach der rot-grünen Perspektive: „Ich würde das gerne sagen, aber man darf in dieser Situation jetzt die Tür zur CDU nicht zuschlagen.“ Klaus Wolschner
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