: Migrationspolitisches Störfeuer des türkischen Geheimdienstes
■ Cem Özdemir, grüner Bundestagsabgeordneter, über die geplante Türkenpartei und die Debatte um mehr Rechte für MigrantInnen
Anfang Juni soll im Rhein- Main-Gebiet die konstituierende Versammlung einer offenbar scheuen deutschen Türkenpartei stattfinden.
taz: Vor einigen Monaten empfing man Sie in der Türkei als Sachwalter türkischer Interessen. Jetzt soll eine Türkenpartei in Deutschland entstehen, die Ankara wieder ins rechte Licht setzen will. Was ist passiert?
Cem Özdemir: Es hat sich herumgesprochen, daß meine Position zur Türkei nicht die gewünschte ist. Von mir wurden patriotische Töne erwartet, die ich nicht anschlagen will. Ich sehe mich erstens als Lobbyist für die multikulturelle Gesellschaft und zweitens als Sprachrohr der Menschen in der Türkei, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Das ist nicht unbedingt deckungsgleich mit den Interessen der türkischen Regierung. Also sucht man sich loyalere Kräfte.
Welche Folgen hätte die Gründung einer ethnischen Partei für die Debatte um die rechtliche Gleichstellung der MigrantInnen in der Bundesrepublik?
Aus zwei Gründen sehr gefährliche: Zum einen fördert sie Tendenzen der völligen Selbstisolation, die unter EinwanderInnengruppen seit einiger Zeit einen dramatischen Umfang angenommen haben. Diese Tendenzen gehen in Richtung Ghetto und Abkapselung von der bundesdeutschen Gesellschaft. Nach dem Motto: Die mögen uns nicht, sie sind sowieso alle gegen uns, also müssen wir uns selbst organisieren. Auf der anderen Seite ist das natürlich Wasser auf die Mühlen derer, die ständig vor der Unmöglichkeit einer multikulturellen Gesellschaft warnen. Solche Parteigründungen machen die erfolgreiche Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft von Grund auf kaputt.
Über Hintermänner und Finanzierung der Partei kann bisher nur spekuliert werden. Der Frankfurter Anwalt Sezgin gibt sich sehr bedeckt. Wundert Sie das?
Das Timing ist ja sehr bemerkensert. Zunächst war da die PR- Aktion in Teilen der türkischen Presse und insbesondere im staatlichen Fernsehen (TRT) für die Armee, und kurz danach kommt diese Initiative auf den Markt. Das Ganze wurde initiiert von einem Anwalt, nicht von Verbänden, nicht von Vereinen, wie man es vermuten könnte. Niemand weiß, wie sich die Partei finanzieren will, niemand erfährt andere Namen. Da stellt sich einfach die Frage: Wer steckt dahinter?
Der türkische Geheimdienst?
Die kritischen türkischen Presseleute meinen, einiges würde darauf hindeuten. Es gibt einen unterstützenden Journalisten, der Chefredakteur von Hürryet Deutschland, Ertug Karakullukcu, der von Istanbul aus den Takt der Berichterstattung in Deutschland vorgibt und sehr aggressiv im Sinne der Türkei Stimmung macht. Er schreibt haßerfüllte und nationalistische Kolumnen gegen die Meinungsfreiheit. Sein Name – das wird von keiner Seite dementiert – steht offenbar auf der Gehaltsliste der Geheimdienste.
So viele Deutschtürken gibt es aber nicht, daß eine derartige Partei echte Wahlchancen hätte. Welchen praktischen Erfolg versprechen sich die Drahtzieher?
Stimmt. Würden alle Deutschtürken diese Partei unterstützen, kämen gerade mal zwei bis drei Prozent Wählerstimmen zusammen. Wenn also die These richtig ist, daß die Partei keine Chance hat, dann macht sie sie um so gefährlicher. Da sie nicht in Parlamente reingewählt werden könnte, wird klar, daß sie nur die Rolle der fünften Kolonne Ankaras spielt. Interview: Franco Foraci
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