: „Anke Freundin, Marita ooch nett“
■ Die 35jährige Anke Schönberg will etwas Sinnvolles neben der Arbeit tun und betreut freiwillig und unbezahlt eine geistig Behinderte
In der grünen Murmel spiegelt sich die Welt. „Murmel, meine“, sagt Marita Glose (Nachname geändert) und hält die Kugel hoch. Das Fenster, die Pflanzen, die Vitrine erscheinen verkleinert im geschliffenen Glas. Anke Schönberg hat Marita die Murmel geschenkt. Seit sieben Jahren verbringt Anke jede Woche ein paar Stunden mit Marita. „Meine Freundin sehe ich nicht so oft“, erzählt Anke. Warum macht sie das?
„Ich habe ja die Zeit.“ Die 35jährige hat keine Kinder und einen Mann, der nachts im Fleischgroßhandel schuftet. Ihr Verwaltungsjob im Büro endet nachmittags um halb vier. Da bleibt noch Zeit für Marita, einmal in der Woche. „Für mich ist Marita auch eine Abwechslung.“
Marita ist 42 Jahre alt, klein, dick und hat kurze schwarze Haare. Sie wohnt allein, in der Nähe der Eltern, und packt in einer Behindertenwerkstatt tagsüber Seifenstücke und Schrauben zusammen. Immer dienstags kommt sie zu Anke. Die beiden gehen einkaufen, besuchen ein Kino oder spielen Minigolf.
Oder machen gar nichts: „Manchmal sitzen wir auch nur still zusammen, ich stricke, Marita knüpft.“ Anke hat ihr das Knüpfen beigebracht. Nicht als offizielles Förderprogramm, das haben sie bald aufgesteckt. „Am Anfang versuchte ich, sie im Rechnen zu unterrichten. Aber wir waren wohl beide überfordert.“ Jetzt tun die beiden nur das, was Spaß macht und leicht von der Hand geht. Malen, genauer gesagt abmalen, kann Marita wie der Teufel.
Am liebsten zeichnet sie Elektrohäuschen, Hochspannungsmaste. „Trafos nicht in der Stadt“ bedauert Marita. „Wenn ich im Urlaub gewesen bin, bringe ich immer ein paar Fotos von Hochspannungsmasten mit“, erzählt Anke.
Marita malt auch Wohnungen, Grundrisse, Querschnitte. Mit der Hand mißt sie die Längen und Höhen ab. Auf dem nächsten Blatt wird dann haarklein die Wohnung gezeichnet und mit Betten, Schränken, Stühlen möbliert. „So genau könnte ich das nie abmessen“, sagt Anke, „und sie hat Phantasie.“ Das, was man als „normales Gespräch“ bezeichnet, kann sie mit Marita nicht führen. „Aber es ist jedesmal anders, wenn sie kommt. Schreiben Sie, daß die Arbeit Spaß macht.“
Auf die Idee brachte sie eine Annonce des Vereins „Lebenshilfe“. „Ehrenamtliche Mobilitätstrainer“ wurden da gesucht. Anke suchte noch irgend etwas „Sinnvolles“ neben der Arbeit und ihren Hobbys. „Da habe ich mich eben beworben“, sagt sie, so, als handele es sich um einen „richtigen“ Job. Stolz ist sie heute noch darauf. „Es ist etwas, das nicht jeder macht. Ich kenne sonst keinen, der auf diese Weise ehrenamtlich arbeitet.“
Das Rechnen hat Marita zwar nicht gelernt, aber sie geht aufrechter als früher. Jetzt läßt sie auch ihre Welt rund und intakt. Früher feilte sie so lange an den Glaskugeln, bis sie zersprangen. „Anke Freundin“, sagt sie. „Marita ooch ganz nett.“ Barbara Dribbusch
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