: „Extremsammler mucken da auf“
■ Ulrich Duve archiviert U-Musik im Kuhnke-Archiv und findet: Beatlemania hat noch lange nicht ausgedient
Yoko Ono wird kommen, Kunsthallenchef Wolf Herzogenrath hat bereits erklärt, man wolle sich mit den Lennon-Originalen „neuen Besucherschichten“ öffnen, Radio Bremen bastelt an seiner „John-Lennon-Week“. Höchste Zeit, ernsthaft über Beatlemania zu reden. Ein Gespräch mit Ulrich Duve, dem Leiter des Klaus-Kuhnke-Archivs für populäre Musik.
Gibt es im Kuhnke-Archiv Unbekanntes von den Beatles?
Ulrich Duve: Ne, wir haben nur die legalen Aufnahmen. Die Beatles-Sammler haben die Stücke sicher alle. Gut, die BBC-Tapes sind jetzt gerade frisch rausgekommen, die sind natürlich auch da mit drin... Es gibt aber keine Bootlegs, es gibt keine Schwarzpressungen oder irgendwie geheime, private Tapes.
Kaufen Sie noch dazu?
Wir kaufen natürlich dazu. Wenn neue Sachen entdeckt werden, greifen wir zu.
Da wird noch was nachkommen?
Das ist vorauszusehen. Mark Hertsgaard, ein amerikanischer Journalist, durfte jetzt in die Abbey Road Studios von EMI eindringen und hat 400 Stunden unveröffentlichtes Material zwischen '62 und '70 entdeckt. Das sind zwar nun keine 400 neuen Stücke, aber da wird schon noch was auf uns zukommen.
Einstweilen boomen die Coverversions. 1986 war „Yesterday“ mal im Guiness-Buch der Rekorde, mit angeblich 1.600 Adaptionen. Was finden denn sowohl James Last als auch die Berliner Philharmoniker als auch Aerosmith an Beatles-Songs?
Wenn jetzt ein Typ wie James Last das macht, dann, weil das populär ist. Das ist bei den Easy-listening-Sachen so. Die anderen Bands haben glaub ich schon den Song im Ohr, oder eben die Originalität oder die Vielseitigkeit. Das ist dann von den Musikern so ne Art Würdigung der Komposition – klingt ein bißchen hochgestochen, aber sagen wir's mal so. Das ist ja auch das Rezept für den Erfolg der Lennon-, McCartney- oder auch Harrison-Stücke, das Gespür für die Melodie, was die Sachen auch wiedererkennbar macht. In den sechziger Jahren, wo viel experimentiert wurde, da waren die in Sachen Arrangement und Ausprobieren von Studiotechnik, von Instrumentation, da waren die einfach ganz weit vorne. Die haben den Horizont der populären Musik erweitert.
Psychedelic, Balladen, „Pop-Rock“ – und dann die Texte. Ein Theologe gestand ihnen mal „heilsame Wirkung“ zu.
Da gibts wirklich puren Nonsens, dann gibt es ne Menge Lovesongs, ne Menge Schmalz, ein bißchen was Kritisches. Dafür waren in der Zeit aber andere mehr zuständig, Dylan zum Beispiel, mehr so die Singer-, Songwriterecke. Lennon hatte in seinen Solosachen später eher die Message.
In Deutschland hatten die Fab Four einen ziemlich furiosen Start, Hamburg avancierte flugs zum Beatleszentrum. Weil der deutsche Schlager so wenig bot?
Gut, die haben damals in Hamburg in den Clubs gespielt, aber ein bißchen weiter weg, aus Hamburg raus, da war der deutsche Schlager schon noch angesagt. Die Beatwelle schwappte erst später herüber.
Und die Beatlemania hat überlebt.
Mit Sicherheit! Als die EMI die BBC-Tapes rausbrachte, war die erste Auflage ruckzuck verkauft. Die waren, bißchen naiv vielleicht, aber die waren überrascht. Es gibt Extrem-Sammler, die aufmucken, wenn sie eine Aufnahme finden, wo zehn Sekunden vor Schluß ausgeblendet wird. Da stehn die drauf. Das ist in der Pop-Rockmusik irgendwie mit den Beatles aufgekommen, daß Stücke die Bands überleben und auch die Komponisten überleben. Es gibt ja im Rock nichts Neues mehr, nur noch Aufgüsse und Retrobewegungen, Revivals.
Manche haben heute nur noch die Zwölf-Cellisten-Adaption aus dem Fahrstuhl im Ohr. Was ist denn von den „Heulern & Hexern“ noch übriggeblieben?
Bei den Älteren ist das sicher auch Nostalgie. Bei den Jüngeren ... vielleicht das Unbekannte, ein bißchen Verklärung. So was wie in den Sechzigern gibts halt heute nicht mehr. Damals hat das auch in die Kunst und den Film hinein gespielt. In den Fünfzigern, da hat Elvis ein bißchen geschockt, aber das war nicht die gleiche gesellschaftliche Bewegung wie in den Sechzigern.
Sie präsentieren bei Radio Bremen eine Beatles-Anthologie, 16 „Sendungen zum Mitschneiden“. Ohne Reinreden. Für NostalgikerInnen?
Manche Leute werden Erinnerungen haben, an Stücke. Für manche gibt es sicher auch was Neues – man hört ja jetzt nicht permanent die Beatles-Songs... Wiederentdeckungen können hinzukommen ... Das bleibt jedem überlassen.
Interview: Silvia Plahl
Radio Bremen 2, 3.7.-24.7., Mo.-Fr., jeweils 12.05-13.00 Uhr
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