■ Eine Überlebenschance für die FDP?: Rechts ist noch reichlich Platz frei
Dieser Beitrag wurde am Vorabend von Klaus Kinkels Handtuchwurf verfaßt.
Im Koma lag sie schon häufig, die FDP. Doch dann hat sie sich immer noch einmal berappelt. Jetzt aber scheint der Exitus nicht mehr abwendbar. Einst hat sie die ganze Republik regiert; jetzt ist sie aus elf Länderparlamenten verschwunden und nur noch an einem Kabinettstisch fern von Bonn präsent. Auch aus den Rathäusern haben die Wähler die Liberalen gejagt. Die Fundamente der Partei sind zerstört. Wie soll sie sich da noch regenerieren können?
Dabei war die Strategie der FDP in den letzten Monaten gar nicht unplausibel. Sie kürte sich Guido Westerwelle zum Generalsekretär und lockte damit die Yuppies. Sie blieb beim Kohlepfennig hart und trumpfte als Partei der Steuersenkung auf. Sie umgarnte die Leistungsträger und versprach ihnen die Reform des Sozialstaates, den radikalen Abbau der Bürokratie, die Belebung der Marktwirtschaft, die Förderung der Gentechnologie. All das liegt eigentlich im Trend der Zeit, beherrscht die Slogans der Aufsteiger und Arrivierten, die vor Jahresfrist im FDP- Jargon noch als die „Besserverdienenden“ firmierten. Und diese Gruppe ist keineswegs klein, zählt jedenfalls mehr als die kläglichen drei bis vier Prozent, die den Freien Demokraten zuletzt noch geblieben sind. Diese Gruppe expandiert wie ihr Lebensstil: wie teure Mehr-Sterne-Restaurants, italienisches Schuhwerk, edles Design, noble Sakkos, weite Reisen.
Die Klientel der FDP ist also da. Aber sie wählt die Partei nicht; sie wählt zu einem guten Teil inzwischen grün. Das ist leicht erklärt. Die Zielgruppe, die die FDP erreicht, ist nämlich tatsächlich so, wie die FDP sie immer definiert: Sie ist erfolgsorientiert. Eben darum investiert sie in grüne Aktien, nicht in liberale. Die Grünen sind Gewinner, die Liberalen sind Verlierer. Die Grünen haben eine Menge Leute, die telegen sind, redegewandt, intellektuell brillieren können. Sie sind die Stars dieser Monate. Die FDP hat nur graues Mittelmaß, biederes Personal, ohne Esprit, ohne Orginalität und Durchsetzungskraft. Die FDP repräsentiert nicht den Lebensstil und das Credo der Gruppe, die sie politisch gern vertreten möchte.
Die Chance dazu hat sie vermutlich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre noch besessen. Damals allerdings hätte sie nicht auf die Hauss-, Bange- und Möllemänner, die Raschs, Gerhards und Rohdes für die Nachfolge von Genscher und Lambsdorff setzen sollen. Damals hätte sie sich karrieremäßig radikal für die Post-68er- Generation, für die dynamischen Hochschulabsolventen der Betriebswirtschaft und des Ingenieurstudiums öffnen müssen. Dann hätte sie eine Programm- und Modernisierungskommission etablieren sollen, um dafür die Denker des Zeitgeistes, der Individualisierung und der Erlebnisgesellschaft zu gewinnen. Denn es ist eben politisch wichtig, Interessenpolitik kulturell zu veredeln, in theoretisch prätentiös klingende Formeln zu hüllen. Auch der Aufsteiger möchte nicht einfach nur ein kalter „Besserverdienender“ und Steuergegner sein; er möchte schon lieber als libertärer Avantgardist postmodernen Lebens umworben werden.
Das alles hat die FDP versäumt. Jetzt ist es zu spät. Die Grünen haben wohl auch hier das Erbe der Liberalen angetreten. Was bleibt dann den Freien Demokraten noch? Links, linke Mitte, Mitte – das alles ist politisch dicht besetzt. Rechts hingegen ist viel frei. Der Ruck nach rechts wäre auch keineswegs ein Traditionsbruch im Liberalismus. Die deutschen Liberalen standen historisch überwiegend rechts. Sie waren meist scharfe Nationalisten, nur selten unbeugsame Verfechter von Recht und Freiheit. Ihre Anhänger trieb es immer wieder rasch in den rechten Populismus.
So auch heute, und das nicht nur in Deutschland. Der Rechtspopulismus ist in diesen Jahren überall im mittleren und westlichen Europa auf dem Vormarsch. Er bündelt die Staatsverdrossenheit im Mittelstand, die Sicherheitsängste der älteren Menschen, die Modernisierungsfurcht der Arbeiter. Haider ist dafür nur ein prominentes Beispiel, aber keineswegs das einzige. Auch andere rechtsliberale Parteien Europas sind diesen Weg gegangen, ebenfalls mit beträchtlichem Erfolg bei den Wahlen. Allein in Deutschland sind die rechten Lebensmilieus politisch verwaist, normativ im Parteienspektrum nicht hinreichend repräsentiert. Das wird gewiß nicht alle Zeit so bleiben. Seit Jahren flackert der Protest der Kleinbürger bei Wahlen auch in der Bundesrepublik auf. Nur haben die Parteien und Listen, die zunächst davon profitierten, rasch versagt. So schlummert der Protest noch im riesigen Lager der Nichtwähler, aber auch im Anhang beider Volksparteien. Die Frustrationen dort aber wachsen, vor allem, da sich jetzt alles um die Grünen, die kulturellen Gegner des rechten Kleinbürgertums, dreht. Die Diskussionen um Rot- Grün, um Schwarz-Grün schüren den Unmut der Handwerker, Kleinunternehmer, Rentner und Arbeitslosen.
Das ist das Potential für eine künftige vierte Partei. Steht sie also an – die Haiderisierung der FDP? Es spricht zweifellos vieles dagegen. Die FDP ist schließlich eine durch und durch bürgerliche Partei, die nach Ministerien strebt, mitregieren will. Sie taugt daher nicht sonderlich zum populistischen Opponieren. Zudem: Die Frustrierten der modernen Gesellschaft lassen sich wohl leicht einsammeln, aber seriöse Politik ist schwer mit ihnen zu machen. Populistische Parteien müssen den Radikalismus eher noch schubweise steigern, um die heterogene Anhängerschaft zusammenzuhalten. Dazu ist die FDP sicher nicht prädestiniert. Die Mehrheit der Partei, zumindest des Establishments, würde einen solchen Rechtsruck nicht mitvollziehen. Das würde die Partei sprengen.
Andererseits aber: Die Basis der FDP ist zutiefst verunsichert. An den Wahlkampfständen wird sie verspottet und verhöhnt. Durch die Wahlniederlagen fühlt sie sich ausgegrenzt, politisch ins Abseits gedrängt. Dabei sehen sich die freidemokratischen Mittelständler als die Fleißigen im Land, als die Steuerzahler der Republik. Sie sind daher verbittert, längst nicht mehr gouvernemental orientiert. Das liefert den Stoff, aus dem sich Rechtspopulismus speist. Es gibt reichlich Nahrung für ihn. Das Potential für eine Partei des dezidierten rechten Liberalismus beziehungsweise Rechtspopulismus liegt auch in der Bundesrepublik bei rund 15 Prozent. Das bildet den rationalen Kern in der Strategie der Gruppe um Rainer Zitelmann und Alexander von Stahl. Dazu kommt: Am stärksten sind die nationalliberalen Mentalitäten in den beiden einzigen noch halbwegs intakten Landesverbänden der FDP verwurzelt, in Hessen und in Baden-Württemberg. Dies mag zum Ausgangspunkt einer rechtsliberalen Regeneration der FDP werden. Gewiß, ein deutscher Haider ist nirgendwo zu erkennen, Gäbe es ihn, hätte er alle Chancen. Denn kein Zweifel: Rechts liegen erhebliche Potentiale, die nicht gebunden sind. Franz Walter
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