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Wenig Freunde, keine Feinde

■ Der Lizenzentzug für Hertha kommt zehn Jahre zu spät. Längst sind Vereine wie Türkyemspor viel wichtiger geworden

Die Sonne scheint, doch Berlin kann sich nicht so recht freuen. „Hertha raus – Berlin weint!“ titelte die Bild-Zeitung, nachdem bekanntgeworden war, daß der DFB dem müden Traditionsclub die Lizenz für das laufende Spieljahr entzogen hat. Undurchsichtige finanzielle Transaktionen der Vergangenheit und schwerwiegende Täuschungen führten dazu, daß Herthas „neue Topspiele“ demnächst und aller Voraussicht nach wohl „gegen Erzgebirge Aue und Lutz Rathenow“ stattfinden werden, wie die BZ höhnte.

Harald Juhnke findet: „Das ist sehr traurig“, „Ober-Fan Pepe Mager“ war nach Bekanntwerden des Lizenzentzugs „in Tränen aufgelöst, heulte hemmungslos: ,Alle sind schuld.‘“ Während Eberhard Diepgen den „DFB-Hammer“ (BZ) einen „herben Schlag“, nannte, empfand Axel Kammholz, Vorsitzender einer skurrilen Splitterpartei, denselben als „hart“. Ingrid Stahmer, die vermutlich noch nie in einem Fußballstadion war, fand alles „schlimm“, „Bündnis 90/Die Grünen“ meldeten sich – wie auch Heiner Müller, der besonders gern in Autos mit seinen Initialien durch die Gegend fährt (HM) – nicht zu Wort, und einer der Hertha-Unter-Fans, die das Olympiastadion regelmäßig zum Hexenkessel machten (ca. 500 Fans auf 80.000 Plätzen) drohte: „Wenn Hertha die Lizenz entzogen wird, bringe ich mich um!“

Ob er's nun gemacht hat, ist nicht bekannt und scheint mir eher unwahrscheinlich. Denn allzuviele Freunde hat „die alte Dame Hertha“ nicht in der Stadt. Schlimmer noch: sie hat inzwischen nicht einmal mehr besonders viel Feinde. Das Schicksal des Fußballclubs mit dem blöden Namen ist einem so egal wie meinetwegen der Niedergang von Holstein Kiel oder Eintracht Segeberg.

Zu weit zurück liegen die Zeiten, als Hertha im oberen Drittel der Bundesliga spielte und in der Saison 1974/75 gar Vizemeister wurde, längst vergessen ist der Mittelfeldspieler Erich Beer, von dem böse Zungen behaupten, er sei in Wahrheit der illegitime Sohn des alterskranken Ex-Bundestrainers Helmut Schön gewesen und hätte allein aus diesem Grund in der Nationalmannschaft gespielt, vergessen die Jahre des unüberwindlichen „Berliner Funkturms“, Uwe Kliemann, des trickreichen Mittelfeldmannes Jürgen Mohr, und daß Mario Basler vor ein paar Jahren noch bei Hertha spielte, ist bestenfalls ein schlechter Witz.

So begrüßt man den Lizenzentzug eher mürrisch, als Entscheidung, die Hertha zwar endlich an den ihr gebührenden Platz verweist, einen Platz, den sie längst schon im Herzen der Berliner einnimmt, die jedoch eigentlich um ungefähr zehn Jahre zu spät kommt – oder kennt jemand jemanden, der jemand kennt, dem Hertha ernstlich noch irgendwas bedeutet?

Vor fünfzehn oder auch zwanzig Jahren sei er noch regelmäßig und mit großer Begeisterung ins Olympiastadion gezogen, sagte „mein“ türkischer Bäcker an der Ecke, als ich ihm erzählte, daß ich was über Hertha schreiben würde. Das wären tolle Zeiten gewesen, damals in den 70ern, als „Berti Vogts und Erich Beer“ noch dabeigewesen waren. Nun sei das ja alles eher trostlos, überhaupt gehe es im Fußball viel zu sehr ums Geld, und da leide auch der sportliche Aspekt.

Hertha müsse sich grunderneuern, wenn ich verstünde, was er meine, und in Berlin seien eigentlich nur noch „Türkyemspor“ und „FC Union“ interessant. Daß die Schrippen bei Thoben nur neun Pfennig kosten, würde man ja auch schmecken, sagte der lächelnde Bäcker, der sich ein bißchen darüber ärgerte, daß ich mir zu Recherchezwecken Bild und BZ gekauft hatte. Als er noch in der Fabrik gearbeitet hatte, hätten sich alle von Bild und BZ dumm machen lassen. „Die hatten da alle ein großes Loch im Kopf, und da haben sie dann in den Frühstückspausen die Bild-Zeitung reingetan.“ Detlef Kuhlbrodt

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