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Lärm müßte Pickel verursachen

Jährlich kommen bis zu 5.000 Lärmgeschädigte zur Beratungsstelle der Gesellschaft für Lärmbekämpfung / „Rezeptartige“ Lärmhilfe gibt es nicht  ■ Von Barbara Bollwahn

Detlef Bramigk will lärmgeschädigten Menschen helfen. Als hätten sie nicht schon genug unter dem Lärm von Baustellen, Fahrzeugen oder Nachbarn zu leiden, wünscht er ihnen auch noch rote oder grüne Pickel an den Hals. „Dann hätten wir einen Indikator für die schmerzlose, schleichende Krankheit Lärm“, sagt Bramigk.

Der 59jährige Toningenieur hatte wie viele andere Mitglieder der Gesellschaft für Lärmbekämpfung, der ältesten Umweltschutzorganisation, „sein“ Lärm-Schlüsselerlebnis: Ausgerechnet unter seiner Wohnung hatten die eigentlich geräuschlosen Angler ihren Freizeittreff. „Die fingen immer kleinere Fische, reparierten aber immer größere Schiffe“, erinnert sich das Vorstandsmitglied des Aktionszentrums Umweltschutz an den unerträglichen Krach. Nach vielen erfolglosen Behördengängen merkte Bramigk, daß er als einzelner nichts ausrichten kann. „Der Lärm wird in den Behörden verwaltet und nicht bekämpft“, so sein Resümee.

Also war er dabei, als 1968 das erste Bürgerberatungsbüro für Schallschutzfragen von der Gesellschaft für Lärmbekämpfung eingerichtet wurde. Seitdem kommen jedes Jahr zwischen drei- und fünftausend lärmgeplagte Menschen zu der kostenlosen Beratung im Aktionszentrum Umweltschutz am Theodor-Heuss-Platz. Der Verkehrslärm sei dabei die Hauptursache für den „großen allgemeinen Streß“, so Bramigk. Aber auch die Geräuschkulisse aus Nachbars Wohnung, der zur Werkstatt umfunktionierte Innenhof und der klavierspielende Mieter werden in der Beratung „emotional verarbeitet“. Denn nicht selten sei der Lärm ein „soziales Problem“. Oft sprechen die Lärmgeschädigten nicht mit dem Verursacher, sondern „leiden, ohne etwas zu sagen“, so Bramigk.

Manchmal fühlt sich der Toningenieur wie in einer Arztpraxis. Denn viele Lärmgeschädigte erwarten eine „rezeptartige“ Hilfe. Hinzu kommen die vielen Menschen mit Lärmneurosen, die ihre Überempfindlichkeit gar nicht ablegen wollen oder können. Viel zu schnell ertönt auch der Ruf nach Lärmmessungen. Menschen, die sich subjektiv gestört fühlen, rät der leise sprechende Toningenieur zu einem Gespräch mit dem Lärmverursacher. Wenn das nicht hilft und auch die „Lärmfibeln“ mit Infos über Schallschutzmaßnahmen und juristische Schritte nicht ausreichen, versucht die Beratung beim Umgang mit Vermietern und Behörden zu helfen.

Bramigk will sich keinesfalls als „Lärmideologe“ verstanden wissen. Vielmehr beklagt er die „ambivalente Haltung“ vieler Menschen, die einerseits über zuviel Autokrach klagen, aber beim Kauf eines Wagens nicht auf dessen Lautstärkepegel achten. Um zu beweisen, daß eine Lärmverringerung auch ohne Verzicht auf Komfort möglich sein kann, arbeitet er derzeit an einem Elektroboot, das von der Deutschen Umwelthilfe gefördert wird. Bramigk hofft, mit dem Boot, das den Namen „Schilfschoner“ trägt und Anfang Juni vorgestellt werden soll, eine Alternative zum lauten Motorboot anzubieten.

In anderen Bereichen haben Bramigk und seine Kollegen bereits resigniert. „Da, wo die Politik und Parteien nicht helfen.“ So sieht das Verkehrslärmschutzgesetz keine Sanierung von Altbauen an lauten Straßen vor. „Da hat der Normalbürger keine Chance, sich zu wehren“, so der Toningenieur. Der Regierung wirft er vor, daß sie Streßforschungsuntersuchungen herunterspielt, die Verkehrslärm für Gesundheitsschäden wie Herzinfarkte verantwortlich machen. So könne das Aktionszentrum nur „punktuell“ wirksam werden. Wie lange das noch möglich ist, weiß Bramigk nicht. Denn das Aktionszentrum finanziert sich ausschließlich über Spenden. Noch kann die Umweltschutzorganisation die 8.000 Mark Miete aufbringen. Doch Bramigk befürchtet eine „drohende Abwicklung“.

Gesellschaft für Lärmbekämpfung, Theodor-Heuss-Platz 7, jeden Dienstag ab 15 Uhr, telefonische Voranmeldung unter 301 56 44.

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