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Grün pur schmilzt wie Schnee in der Sonne dahin

■ Heute beginnen die rot-grünen Verhandlungen in Nordrhein-Westfalen

Düsseldorf (taz) – In den sozialdemokratisch geführten Düsseldorfer Ministerien wird wieder gelesen. Romane? Sachbücher? Oh, nein! Ganze Scharen von Beamten kennen zur Zeit nur eine Leidenschaft: die Lektüre sämtlicher rot- grüner Koalitionsvereinbarungen aus Wiesbaden und Hannover. Dabei geht es gründlich zu. Ressort für Ressort liegen inzwischen Synopsen vor, die im Detail Vergleiche zwischen den ursprünglichen grünen Forderungen und den Verhandlungsergebnissen aufweisen.

Angesichts dieser Lektüre wirken auch für gestandene Sozialdemokraten die programmatischen Forderungen der nordrhein-westfälischen Grünen längst nicht mehr so bedrohlich. Beispiel Verfassungsschutz: Hier verlangt das grüne NRW-Programm schlicht die „Auflösung“. Doch die wird es nicht geben. Das kurz vor der Wahl noch schnell zusammengeschusterte „Sofortprogramm“ weist den Weg. Darin wollen die Bündnisgrünen die Verfassungsschutz- Arbeit nur noch „drastisch einschränken“ und „das Personal im ersten Schritt um fünfundzwanzig Prozent verkleinern“. Diese Formulierung aus dem linken Landesverband liegt schon verdächtig nah bei hessischen Realo-Verhältnissen, denn dort schreibt der Koalitionsvertrag eine Reduzierung um zwanzig Prozent fest.

Beim Abschleifen der Forderungsberge betätigen sich linke Leitfiguren wie der innenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Roland Appel, an vorderster Stelle. Seit Sonntag gehört Appel auf Beschluß des Landesparteirates zusammen mit der linken Schulexpertin Brigitte Schumann und den beiden Realos Gisela Nacken und Gerd Mai zur jetzt auf zwölf Personen aufgestockten grünen Verhandlungsdelegation.

Während das Sofortprogramm noch apodiktisch verkündet, die „Abschiebehafthäuser sind zu schließen“, lautet die weichgespülte Appel-Version inzwischen so: „Man könnte zum Beispiel sagen, daß Abschiebehaft nicht länger als drei Monate dauern darf.“ Der Realitätsschock steht der grünen Klientel dabei noch auf vielen weiteren Feldern ins Haus. Auch die linke Spitzenkandidatin Bärbel Höhn verbreitet inzwischen, daß bei der Umsetzung der vor der Wahl großspurig verkündeten „zwölf Reformprojekte“ natürlich „die rechtlichen und finanziellen Bedingungen berücksichtigt werden“ müßten.

Während vor der Wahl der grüne Forderungszauber in Nordrhein-Westfalen – allein bei der versprochenen Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz klafft eine grüne Finanzlücke von gut 2,5 Milliarden Mark – noch als sakrosankt galt, schmilzt Grün pur nun wie Schnee in der Sonne dahin.

Allein beim Braunkohletagebau Garzweiler II scheint die grüne Verhandlungskommission, die sich hier zu Recht mit ihrer Position auf der Seite der ernergiepolitischen und ökologischen Vernunft sieht, beim absoluten Nein bleiben zu wollen.

Von den geforderten zahlreichen grünen Abgaben – Verpackungs-, Sondermüll-, Grundwasserentnahme-, Nahverkehrs-, Lehrstellenabgabe und eine Abgabe auf ungenützte Abwärme – werden dagegen letztlich wohl kaum mehr übrigbleiben, als es sie schon in anderen Bundesländern gibt. Noch sieht es so aus, daß sowohl die grüne Partei wie auch die neue 24köpfige Fraktion in Nordrhein-Westfalen bereit sind, den weitgehenden Forderungsverzicht mitzutragen.

Nur eins steht für die Bündnisgrünen nach den Worten von Vorstandssprecher Rainer Priggen ganz gewiß nicht zur Disposition: „In der Energie- und Verkehrspolitikpolitik muß klarwerden, daß es eine Kursänderung gibt.“ Eine Sprachregelung, die den Düsseldorfer Sozialdemokraten gar nicht behagt. Es werde, so hat Ministerpräsident Johannes Rau erst gerade allen SPD-Unterbezirksvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen versichert, in der angestrebten rot- grünen Koalition „keine grundlegenden Kurswechsel“ geben, sondern allenfalls „Akzentverschiebungen und auch neue Akzente“. Nun, am Namen wird das neue Bündnis gewiß nicht scheitern, aber wenn das Kind sich nicht in eine neue Richtung bewegt, werden die Bündnisgrünen wohl nicht als Geburtshelfer zur Verfügung stehen.

Noch gibt sich die neue Fraktion, der zwölf „Linke“, acht „Realos“ und vier „Unabhängige“ angehören, noch relativ brav, doch von den Sozis über den Tisch ziehen lassen wird sich diese Truppe nicht. Da sei Stefan Bajohr vor, der wie keine anderer in der neuen Fraktion weiß, wie die andere Seite denkt. Bevor Bajohr von den Sozialdemokraten zu den Grünen wechselte und auf Platz 20 der Landesliste landete, zählte er jahrelang zu den engsten Mitarbeitern des früheren SPD-Fraktionschefs Friedhelm Farthmann.

Nun lehrt der intime Kenner des sozialdemokratischen Machtzentrums den einstigen Genossen das Fürchten. Walter Jakobs

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