: Gigantische Dreckschleudern
Berlins Altbauten sind oft in einem miserablen technischen Zustand / Frei finanzierte Bauvorhaben haben keine Klimaschutzauflagen ■ Von Volker Wartmann
In einem Berliner Altbau zu wohnen kann so schön sein: „Bei frostigem Wetter bilden sich innen auf den Fensterscheiben oft Eisblumen“, erzählt Wolfgang Brodauf, wohnhaft in der Adalbertstraße im Bezirk Mitte. Sein Ofen ziehe nicht mehr richtig, weil sich der Schornsteinfeger weigere, den Kamin zu reinigen. „Kein Wunder, das Dach ist ja ziemlich morsch und der Steg zum Schornstein vollkommen durchgefault.“ Daran, daß er zum Toilettengang zwei Stockwerke tiefer gehen müsse, weil alle anderen Toiletten im Haus nicht mehr benutzbar sind, habe er sich schon lange gewöhnt. Solcherlei Wohnbedingungen in Altbauten sind in Berlin keine Seltenheit, vor allen Dingen nicht im Ostteil der Stadt.
Etwa die Hälfte aller BerlinerInnen lebt in Altbauten. Rund 50 Prozent der 1,7 Millionen Berliner Wohnungen wurden vor dem Zweiten Weltkrieg erbaut. In Friedrichshain beispielsweise liegt der Altbauanteil bei ungefähr zwei Dritteln, im Prenzlauer Berg sogar bei über drei Vierteln des Gesamtwohnungsbestandes. Besonders in den Altbau-dominierten östlichen Innenstadtbezirken ist der Instandsetzungsbedarf enorm hoch. „In wenigen Jahren wäre uns die Substanz im Osten vielerorts einfach weggebrochen“, erklärt Petra Reetz, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, die schwierige Situation. So ist es nicht verwunderlich, daß sich 14 der 15 aktuellen vom Senat festgelegten und geförderten Sanierungsgebiete im Ostteil der Stadt befinden.
Substanzerhaltung steht im Vordergrund
Bei den Altbausanierungsprojekten stehe in erster Linie die Substanzerhaltung im Vordergrund. In zweiter Linie gehe es um die Wohnwerterhöhung, zum Beispiel durch den Einbau einer Innentoilette, eines Bades oder einer Dusche und, wenn möglich, einer modernen Heizungsanlage, so Reetz weiter. „Viele Altbauten sind jedoch in einem dermaßen schlechten Zustand, daß eigentlich bis auf die Grundmauern alles erneuert werden muß: das Dach, sämtliche Installationen, die alten Bleitrinkwasserrohrleitungen und Einglasfenster müssen ersetzt werden.“ Als größtes Hindernis bei vielen Sanierungsvorhaben erweisen sich immer wieder die noch ungeklärten Eigentumsverhältnisse. In Friedrichshain beispielsweise haben ungefähr die Hälfte der Altbauten keinen feststehenden Eigentümer und können somit nicht saniert werden.
Der Quadratmeter kostet bis zu 2.500 Mark
„Bei gleichbleibender Förderung durch die öffentliche Hand wird es in Friedrichshain 20 Jahre dauern, bis einigermaßen flächendeckend ein mit dem sozialen Wohnungsbau vergleichbarer Standard erreicht werden kann“, sagt Martina Albinus, Bezirksstadträtin für Bau- und Wohnungswesen. Ungefähr 50 Prozent der Altbauten in ihrem Zuständigkeitsbezirk weisen nach ihrer Auskunft schwere Schäden auf. 20 Jahre reichen nach Einschätzung des technischen Prokuristen der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg, Ulrich Rebuschatis, für Prenzlauer Berg nicht aus. Seiner Ansicht nach kann man in diesem Bezirk sogar davon ausgehen, daß nahezu drei Viertel aller Altbauten schwere Schäden aufweisen. „Um hier umfassend zu sanieren, muß man von 1.800 bis 2.500 Mark pro Quadratmeter ausgehen“, macht er die Kostendimension deutlich.
Bei den Sanierungsmaßnahmen hat sich der Senat ökologische Vorgehensweise groß auf seine Fahnen geschrieben: Das „Energiekonzept Berlin“, beschlossen im Dezember 1994, sieht eine Minderung der Kohlendioxidemissionen um mindestens 25 Prozent pro Kopf der Bevölkerung bis zum Jahr 2010 vor. Der mit Abstand größte Beitrag, nämlich rund 70 Prozent der insgesamt einzusparenden Kohlendioxidemissionen, muß im Bereich der privaten Haushalte – und hier im wesentlichen im vorhandenen Wohngebäudebestand erbracht werden, so Peter Foerster-Baldenius, Referatsleiter für ökologischen Städtebau bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. Die konkrete Vorgabe des Energiekonzepts lautet: „Im Sektor Wohnungsbestand sollen im Jahr 2010 gegenüber dem Basisjahr 1990 rund 3.480 Gigawattstunden Primärenergie und rund 1,85 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen eingespart werden.“
Umgerechnet auf den Bestand von 1,7 Millionen mit 114 Millionen Quadratmeter Wohnfläche sind demnach im Jahresenergieverbrauch durchschnittlich 2.050 Kilowattstunden und 1,1 Tonnen Kohlendioxid für jede Wohnung einzusparen. Das entspricht 30 Kilowattstunden und 16 Kilogramm Kohlendioxid je Quadratmeter Wohnfläche. Bleibt die Hälfte der Wohnungen unverändert, so müßten für die andere Hälfte doppelt so hohe Durchschnittseinsparungen erzielt werden. „Umgesetzt in ein Energiesparprogramm, müßten in den nächsten beiden Dekaden jährlich 174 Millionen Kilowattstunden beziehungsweise 92.500 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden“, erklärt Foerster- Baldenius die aus dem Energiekonzept entstehenden Handlungsnotwendigkeiten.
Das Sanierungsvolumen muß verzehnfacht werden
Im Rahmen des Programms soziale Stadterneuerung, das der umfassenden Modernisierung und Instandsetzung von Altbauten – vorrangig solcher in Sanierungsgebieten – dient, werden zwischen 2.000 und 3.000 Wohnungen im Jahr saniert. Hochgerechnet an einem Beispielobjekt im Bezirk Wedding, das im wesentlichen konventionell (Wärmedämmung der Außenwände einschließlich Fensternischen, des Daches und der Kellerdecke, Austausch einfach verglaster Fenster, Umstellung auf Sammelheizung) saniert wurde, müßten seinen Angaben zufolge jedoch nicht 3.000, sondern 35.000 Wohnungen dieses Typs jährlich saniert werden, um das Jahresziel von 92.500 Tonnen Kohlendioxidreduzierung zu erreichen. Zudem gelte es zu bedenken, daß durch die Komfortverbesserungen der Wohnungen, insbesondere durch den Einbau einer zentralen Heizungs- und Warmwasseranlage, eine Erhöhung des Energieverbrauchs stattfinde. Angesichts der bisherigen Ergebnisse kam zumindest Bausenator Wolfgang Nagel kürzlich zu dem Schluß, daß Berlin hinsichtlich des ökologischen Städtebaus, der Klimaschutz bedeute, „in den letzten sechs Jahren viel geleistet hat“.
Ökologische Sanierung wäre finanzierbar
Dieser Einschätzung widerspricht Carsten Körnig, Leiter der Greenpeace-Gruppe Berlin, energisch. Nach seiner Ansicht kann nur jedes tausendste Berliner Haus als klimaschonend bezeichnet werden. Die thermographischen Luftbilder von Greenpeace machten es deutlich. „Berlins Bausubstanz ist eine gigantische CO2-Schleuder.“ Körnigs Angaben zufolge sei zwar ihre „gründliche, sukzessive Sanierung und der Bau von Niedrigenergiehäusern nach dem Stand der Technik längst überfällig und wirtschaftlich durchaus tragbar, auf freiwilliger Basis wird die Effizienzrevolution in unsere gut geheizten Stuben aber kaum Einzug halten“. Als besonders fatal sieht er an, daß frei finanzierte Bauvorhaben von Klimaschutzauflagen gänzlich ausgeklammert würden und die „Zielwerte“ zum Heizenergieverbrauch bei der geförderten Modernisierung unverbindlich blieben. Zudem tauchten von Greenpeace für unverzichtbar erachtete Stichprobenkontrollen in der Baupraxis im Energiekonzept nicht auf. Auch fehlten wirksame Sanktionen bei Verstößen gegen die ökologischen Auflagen der Förderrichtlinien. „Das Berliner Energiekonzept ist eine riesige Seifenblase, die zerplatzt, sobald man sie genauer überprüft.“
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