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„Zuverlässigkeit“ und „Einsatzbereitschaft“

■ Gauck: Gysi wichtig bei Bekämpfung des politischen Untergrundes

Die bisher in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen aufgefundenen und zum großen Teil der Öffentlichkeit bereits bekannten Dokumente mit Hinweisen auf die Weitergabe von Informationen über oppositionelle Bürger der DDR durch den Rechtsanwalt Dr. Gysi an das Ministerium für Staatssicherheit zeigen deutlich: daß einerseits langjährige Kontakte bestanden zwischen Dr. Gysi und der Hauptabteilung XX, der Diensteinheit, die im MfS die Federführung bei der „vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit“ in der DDR hatte, und andererseits, daß er nicht förmlich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) erfaßt war.

Die Zusammenarbeit fand in dem Zeitraum von 1978 bis 1989 durchgängig mit den MfS-Offizieren Reuter, zuletzt Oberst und seit 1981 in der Dienststellung eines Abteilungsleiters beim MfS, und dessen langjährigem Stellvertreter, Oberstleutnant Lohr, statt. Beide nahmen auf zentraler Ebene des MfS eine entscheidende Stellung bei der „operativen Bearbeitung“ der sogenannten Untergrundszene in der DDR ein.

Angefangen von der anwaltlichen Vertretung Dr. Rudolf Bahros 1978, der Übernahme des Rechtsbeistandes von Prof. Dr. Robert Havemann und seiner Ehefrau Ende der 70er beziehungsweise Anfang der 80er Jahre bis hin zur Rechtsberatung von Bärbel Bohley und anderen Personen, die aus der DDR ausgewiesen wurden und 1988 wieder einreisen konnten, war Dr. Gysi als Rechtsanwalt über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren für prominente Repräsentanten der „inneren Opposition“ in der DDR tätig. Für das MfS wurde er deswegen immer mehr zu einer wichtigen Person bei „der Bekämpfung des politischen Untergrundes“ in der DDR. Die aufgefundenen Unterlagen legen den Schluß nahe, daß Dr. Gysi als anwaltlicher Vertreter von oppositionellen Bürgern die Interessen des MfS mit durchzusetzen half und mandantenbezogene Informationen an das MfS weitergab. Diese Schlußfolgerung läßt sich auf folgende beispielhaft genannte Textstellen aus den vorhandenen Unterlagen stützen:

– In dem „Plan zur Verhinderung von Provokationen Robert Havemanns im Zusammenhang mit der Veranstaltung anläßlich des 35. Jahrestages der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg ...“ vom 24. 04. 80 wird durch die HA XX/ Operativgruppe für den GMS „Gregor“ festgehalten, wie er auf Robert Havemann Einfluß auszuüben und damit „operative“ Interessen des MfS durchzusetzen hat.

Die Unterlagen besagen weiterhin, daß mindestens seit Dezember 1978 verantwortliche Offiziere des MfS Kontakt zu Dr. Gysi mit der Zielstellung aufnahmen, von ihm Informationen über Absichten und Pläne seines Mandanten Rudolf Bahro zu erhalten. Damit verbunden sollten offensichtlich auch die Eignung und Bereitschaft von Dr. Gysi für eine längerfristige inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS geprüft werden. Vor allem die von Dr. Gysi in bezug auf die „operative“ Bearbeitung von Rudolf Bahro gezeigte „Zuverlässigkeit“ und „hohe Einsatzbereitschaft“ nahm das MfS zum Anlaß, ihn als IM-Kandidaten zu registrieren, was aus der Existenz der IM- Vorlaufakte deutlich wird. Als vorläufiger Deckname wurde von MfS-Mitarbeitern „Gregor“ gewählt. Nach Aktenlage kam es nicht zu einer förmlichen Verpflichtung von Dr. Gysi als IM und auch zu keiner entsprechenden Umregistrierung zu einem IM- Vorgang. Statt dessen wurde die IM-Vorlaufakte „Gregor“ nach dem außerordentlich langen Zeitraum von sechs Jahren geschlossen und Dr. Gysi sodann unter eine operative Personenkontrolle mit dem Decknamen Sputnik gestellt. Unabhängig von der Registrierung durch das MfS hat Dr. Gysi in den Jahren 1978 bis 1988 bei Treffen mit den genannten Offizieren des MfS eine Vielzahl detaillierter Informationen über seine Mandanten und andere Personen, die sich in Rechtsfragen an ihn wandten, übermittelt. Dadurch war es dem MfS in vielen Fällen möglich, sich rechtzeitig auf geplante Aktivitäten solcher Personen, wie zum Beispiel Bärbel Bohley, Gerd Poppe, Lutz Rathenow, Bettina Wegener und andere, einzustellen. Der Deckname Notar wurde von ihnen immer dann verwendet, wenn es um Informationen über Personengruppen ging, deren übereinstimmendes Merkmal darin bestand, daß Dr. Gysi als einzige Person stets daran beteiligt war.

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