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Einmal privat, immer privat

■ Gesetzliche Krankenversicherungen kann nicht jeder in Anspruch nehmen

Bettina ärgert sich heute noch, wenn sie an ihren 27. Geburtstag zurückdenkt. Bis dahin war sie über ihre Eltern privat versichert. Danach konnte die Berliner Lehramtsstudentin sich entscheiden, ob sie in der privaten Versicherung bleiben oder in eine der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wechseln wollte. „Ich bin aus Trägheit bei der alten Versicherung geblieben“, meint Bettina. „Der Vertreter hat mir nichts davon gesagt, daß ich nach dieser Entscheidung nicht mehr in die Krankenkasse hineinkomme.“

Einmal privat, immer privat, heißt die Devise, seit vor sechs Jahren das Gesundheitsreformgesetz in Kraft trat. Zuvor konnten Beamte, Selbständige und Angestellte mit einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze sich jederzeit freiwillig bei einer Krankenkasse versichern lassen. das lohnte sich vor allem im Alter. Für junge Menschen sind die Prämien der privaten Krankenversicherungen (PKV) oft viel billiger als die Beiträge zu den Krankenkassen. Mit fortschreitendem Alter und wachsendem Gesundheitsrisiko aber steigen auch die Prämien erheblich. Und wer als Alleinverdiener eine Familie gründet, ist bei den GKV besser dran, weil Ehepartner und Kinder dort kostenlos mitversichert werden.

Der Rückweg zur Krankenkasse sei aus Gerechtigkeitsgründen verbaut worden, erklärt Thomas Tritscher vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in Berlin: „Da hat einer nun 25 Jahre von den billigen Prämien bei den Privaten profitiert, und wenn die Kosten steigen, will er auf einmal von der Solidargemeinschaft subventioniert werden.“ Seit der Gesetzesänderung sind die Versicherten vorsichtiger geworden: 1989 wechselten 664.000 Menschen von der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung. 1993 waren es nur noch 307.000. Zur Zeit sind etwa sieben Millionen Deutsche privat versichert.

Wer die Kasse verlassen will, wird durch Broschüren und in Gesprächen darüber belehrt, daß ein Wechsel zurück nicht möglich ist. „Viele Leute überlesen das allerdings oder interessieren sich nicht dafür – wenn man jung und gesund ist, denkt man nicht so voraus“, meint Heidrun Sölter-Bey von der AOK Berlin. Wer immer privat versichert war, wird unter Umständen überhaupt nicht über die Gesetzeslage aufgeklärt. Im Merkblatt über „Die Entscheidung – privat oder gesetzlich“ des Verbandes der privaten Krankenversicherer steht kein Wort über die Endgültigkeit dieser Entscheidung.

In der Regel sind zwar auch hohe PKV-Prämien für die Mitglieder durchaus bezahlbar: Angestellte, deren monatliches Einkommen unter die Grenze von zur Zeit 5.850 Mark fällt (in Ostdeutschland 4.800 Mark), kommen automatisch wieder zur GKV. Auch Selbständige mit relativ niedrigem Einkommen – zum Beispiel Handwerker, Künstler oder Küstenfischer – können sich bei den Kassen versichern lassen. In Überbrückungszeiten werden die PKV-Prämien jedoch für viele Versicherte, die sie sich sonst problemlos leisten konnten, zu einer schweren Belatung. „Als ich mein Studium beendet hatte, rutschte ich in eine höhere Tarifgruppe und mußte auf einmal 300 Mark im Monat löhnen. Dabei hatte ich nur ganz geringe Einkünfte aus einem Praktikum“, erzählt Bettina. Erst als die 29jährige ihr Referendariat antrat und Beihilfe beanspruchen konnte, waren die Prämien für sie wieder bezahlbar.

Für Rentner kann eine Privatversicherung geradezu ruinös werden. Manche alten Ehepaar müssen bei einem gemeinsamen Einkommen von 3.000 Mark monatlich tausend Mark für die Krankenversicherung aufwenden. „Die haben dafür zwar 30 Jahre geringe Beiträge gezahlt, aber man muß den Verbraucher ja auch vor sich selber schützen“, sagt Thomas Tritscher. Seit 1994 sind die PKV deshalb dazu verpflichtet, 80 Prozent ihrer Überschüsse für die sogenannten Altersrückstellungen zu verwenden: Denn nur wenn diese Rücklagen nicht zur Kostendeckung reichen, dürfen die Versicherungen ihre Prämien erhöhen. Das wurde lange Zeit gründlich ausgenutzt. Nach einer Rechnung des Bundes der Versicherten sind die PKV-Prämien seit Mitte der 50er Jahre um mehr als 6.000 Prozent gestiegen, die GKV- Höchstbeträge dagegen nur um etwa 1.300 Prozent. Seit 1994 müssen die PKV auch einen „Standardtarif“ für Menschen über 65 anbieten, der den Höchstbeitrag der Krankenkassen nicht übersteigen darf.

Teuer können private Krankenversicherungen auch für die Sozialämter werden. Denn im Unterschied zu Arbeitslosen sind Sozialhilfeempfänger nicht automatisch pflichtversichert. „Wenn die privat versichert sind, muß das Sozialamt abwägen, ob es die Prämien weiter zahlt oder aber die Kosten für alle medizinischen Behandlungen übernimmt“, erklärt Rita Hermanns von der Senatsverwaltung für Soziales. Erst ab 1997 gilt eine neue Regelung, nach der alle Sozialhilfeempfänger bei den Krankenkassen versichert werden.

Trotzdem muß man kein Sozialfall werden, um wieder zur GKV zu kommen: Das Schlupfloch führt durchs Standesamt. „Wenn mir die private Versicherung mal zu teuer wird“, meint Bettina, „dann heirate ich meinen Freund. Der ist in der AOK.“ Miriam Hoffmeyer

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