: Wie Knüppel auf den Kopp!
Was in Berliner Kantinen geboten wird, reicht von gutbürgerlicher Küche über Vollwertkost bis hin zu mehrfach versuchter schwerer Körperverletzung ■ Von Peter Lerch
Incognito und mit vollen Backen sitze ich im 16. Stock des Verwaltungsgebäudes der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW), genieße den Ausblick und das Kantinenessen. Ich habe mich für das dritte Menü, „Gebackene Gemüseschnitzel mit Champignons à la creme“ zu 6,40 Mark entschieden. Das frankophile Fresserchen ist in jeder Hinsicht ein Genuß, angefangen von der Bechamelsauce über die mit Petersilie bestreuten Frühkartoffeln bis hin zur Garnierung aus Möhrenschnipseln.
Donnerwetter! Da wird der Magen aber in die Hände klatschen. Um mich herum mampfende Angestellte, die ihre GSW-Kastagnetten an gewürfeltem Hühnerfleisch mit Currysauce und gebackener Ananas im Reisrand oder hausgemachtem Kartoffelsalat mit Bulette abarbeiten. Müßte man sich das Essen nicht am Ausgabeschalter selbst abholen und auf einem Tablett zum Tisch tragen, könnte man sich glatt in einem Restaurant wähnen. Dank der zivilen Preise – das teuerste Essen inklusive Dessert kostet 7,40 Mark – und der ordentlichen Qualität kann man die GSW-Kantine uneingeschränkt empfehlen. Will man in Anlehnung an die Gepflogenheiten des berühmten Schlemmerhandbuchs des französischen Pneu-Produzenten Michelin Sternchen verteilen, dann verdient der Kantinen-Bocuse mindestens h hH H.
Brühnudeln mit Rindfleisch (3,75 Mark), Schweinefleisch „Pußta-Art“ und Rindergulasch mit Krautsalat und Kartoffeln stehen auf dem Speiseplan des „Kasinos im Kriminalgericht“. Angesichts der dargebotenen Speisen scheint der Begriff Kasino etwas hoch gegriffen. Zumal man in der Gerichtskantine regelmäßig auf die umstrittenen Kreationen der nahen Knastküche zurückgreift.
Mangels anderer vegetarischer Alternativen entscheide ich mich für Weißkäse mit Leinöl und Butter plus Kartoffelbeilage. Die seifigen Potatoes lassen keinen Zweifel aufkommen, daß zumindest dieses Menü aus den unerforschlichen Kesseln der JVA Moabit stammt. Während ich mir widerwillig den Happenpappen einpfeife, lese ich den Speiseplan: Eier mit Spinat und Specksoße für 3,75 Mark und der Kohlrabieintopf zum gleichen Preis, das klingt auch verdächtig nach Justizvollzugsanstalt.
Das gute alte Sprichwort „Sag mir, was du ißt, und ich sag' dir, wer du bist“ kriegt angesichts des üppigen Rinderbratens „bürgerlich“ in diesem Rahmen eine ganz eigene Bedeutung. Eine Nudelsuppe „Roter Oktober“ oder eine „Crème revolutionaire“ würde sich an diesem Ort ohnehin nicht gut machen.
Sag mir, wie du schmeckst
Einem alten juristischen Grundsatz (in dubio pro rero) Rechnung tragend, muß davon ausgegangen werden, daß nicht alle sogenannten Gerichte bei Gericht derart schäbig sind wie die erfolgreiche Verseifung der Kartoffeln bei der vorgestellten Weißkäse-mit-Leinöl-Tateinheit, die einem Strafstoß aus zwanzig Zentimeter in die Magengrube gleichkommt. Dennoch kann ich mich nicht mal gnadenhalber dazu durchringen, eins h h h h zu geben.
Weitaus erfreulicher dagegen die ernährungsphysiologisch ausgetüftelten Mittagsmahlzeiten der Primanerkantine der Charlottenburger Nehring-Grundschule: In diesem Kantinenbetrieb ringt Projektleiter Bühler mit den kindlichen Bedürfnissen nach Pommes, Pizza und anderem Junk-food und versucht die Kids mit „multikultureller Ernährung“ auf Vordermann zu bringen.
Neben dem multikulturellen Anspruch – eine der Köchinnen ist islamische Fundamentalistin und achtet darauf, daß die Nachwuchs- Muselmanen unter den Schülern innerlich nicht mit Schweinkram verunreinigt werden – soll die Esserei den Kinderchen schmecken und vor allem gesund sein. „Die Fast-food-Gesellschaft produziert kranke Menschen“, erläutert Bühler, der in seinem Schulkinderverpflegungsprojekt ganz besonderen Wert auf frische, nährstoffreiche und ausgewogene Kost legt. Dosengemüse und Tiefkühlpizza haben in dem von einem sozialen Trägerverein organisierten Pilotprojekt keine Chance, betont Bühler, und man merkt dem Projektleiter an, daß er mit jeder Faser seiner schwäbischen Korpulenz hinter der Sache steht.
Der Spagat zwischen Vollwert, Schmackhaftigkeit und Multikulti bei einem Etat von zwei Mark fünfzig pro Tag und Kind soll auch noch wirtschaftlich sein. Wenn man berücksichtigt, daß bei jeder Mahlzeit auch noch ein Dessert und ein Getränk geboten wird, fühlt man sich an die wundersame Vermehrung von Brot und Fischen erinnert. Bis zu 280 Kinder werden hier täglich abgefüttert. Neben Nudelsuppe mit Rindfleisch und Brot, Bulette mit brauner Soße, Blumenkohl und Kartoffeln oder Fischragout mit Reis stehen auch kindgerechte kulinarische Bestseller wie Grießbrei mit Kirschen und Himbeeren auf dem Speiseplan der Schulkantine.
Ich lasse mich an einem der großen Tische in dem hellen, freundlichen Saal nieder und entscheide mich – was heißt hier entscheiden – für das einzige zur Auswahl stehende Tagesgericht: Grießbrei mit Kirschen und Himbeeren. Welch ein Genuß! Wie der samtige, in kuhfrischer Vollmilch gekochte Grieß auf der Zunge zergeht, während die Grütze aus Kirsche und Beere die von hastig runtergewürgten Käsestullen und den ewigen Spaghetti al olio verwüsteten Geschmacksknospen aufrichtet... Ahh..., kaum zu glauben, der supersüße Grießbrei
Ahh! Kaum zu glauben, daß das Gericht, sozusagen ein spontaner Ersatz für ursprünglich vorgesehenes Putengemetzeltes mit Reis, quasi als Verlegenheitsmenü kreiert worden ist. Das allein verdient vier H H H H.
Die Kantine der Technischen Universität hat sich seit meinem ersten – und wie ich damals glaubte, letzten – Besuch erheblich verbessert. Nur allzugut ist mir der deftige Kohleintopf in Erinnerung, den ich vor knapp zehn Jahren dort einnahm: Er roch wie Laterne unten, schmeckte wie Knüppel auf den Kopp und sah meistens auch noch wie bereits Verdautes aus.
Doch heute ist das Futter in Berlins größter Kantine nicht nur gut, sondern obendrein noch außerordentlich billig. Jeder Studi kann täglich zwischen zwei Suppen, fünf Vorspeisen, vier Hauptgerichten, fünf bis sechs Beilagen und ebenso vielen Desserts wählen und sich mit den Komponenten ein individuelles Menü zusamenstellen.
Die mit Abstand größte Abfütterungsanlage Berlins kellt unter der Regie des Studentenwerks allein in der TU rund 8.000 Essen täglich aus. Ein Essen mit allen vier Gängen, Lauchcremesuppe, Vorspeise Tomaten-Paprika-Salat, indischer Gemüsetopf mit einer der sechs Beilagen, zum Beispiel Paprikareis, Dillkartoffeln, oder Sahnepüree, und anschließend ein Eisdessert, kostet für Studenten 3,80 Mark. Selbst Uni-Mitarbeiter, für die eine andere Preisstaffelung gilt, berappen für das gleiche Menü auch nur 4,60 Mark. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß sämtliche Podukte Bioqualität haben müssen, wie mir Hans Jürgen Fink, Geschäftsführer des Studentenwerks, versichert.
Der Koch sollte es sich in den Hintern schieben
Ein Lebensmitteltechnologe der Technischen Fachhochschule checkt die Lebensmittel vor ihrer Verarbeitung auf Rückstände. Das in der Uni-Küche verwendete Fleisch darf beispielsweise nicht aus der Mastviehhaltung stammen und keinerlei Medikamentenrückstände enthalten. Ein normaler Fleischer hätte als TU-Lieferant keine Chance. Ohnehin ist der Fleischkonsum an der Uni in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Hans Jürgen Fink versicherte, daß das Interesse an vegetarischer Kost kontinuierlich zunehme. Ein Trend, der von den sechs Köchen der TU entsprechend berücksichtigt wird. Für das reichhaltige Angebot und die Qualität der Speisen zu einem derart niedrigen Preis verdient die Cuisine Université glatt drei h H H H.
Einen habituellen Mangel an handwerklichen Fähigkeiten, gepaart mit einer ans Unverschämte grenzenden Preisgestaltung, muß man indes dem Betreiber der Kantine im Finanzgericht bescheinigen. Zwischen Sauerscharfsuppe zu vier Mark, Vanillegrieß mit Kirschen für fünf Mark fünfzig, Wiener Zwiebelrostbraten mit Pommes und grünen Bohnen zu satten acht Mark zwanzig und Gemüseomelette mit zerlaufener Butter und Petersilienkartoffeln wählend, entscheide ich mich für das letztere.
Sechs Mark fünfzig kostet das Fresserchen, das schon auf den ersten Blick erkennen läßt, daß hier irgendwas mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis nicht hinhaut. Auf dem Teller liegen vier Kartöffelchen ganz ohne Petersilie einsam neben einem sogenannten Omelette. Bei dem Versuch, die Kartoffel Numero eins, zweifellos eine sehr junge Nachwuchsknolle, zu zerteilen, verbiege ich mir bald die Gabelzinken. Das Ding ist steinhart. Numero zwei ist genauso hart und wandert auch an den Tellerrand.
Bei der dritten komme ich mit der Gabel glatt durch, dafür schmeckt sie beim Verzehr noch ein wenig wie Rohkost. Das Omelette ist eine Schande: völlig ungewürztes Eggiweg mit ein bißchen Erbsen und Karotten aus der Dose drin. Offensichtlich hat da ein Köchlein gewaltet, den ein ungnädiges Herrchen namens Schicksal an einen Kessel gekettet hat, damit es seiner Unlust freien Lauf lassen kann. Vielleicht ist die permanente Übelkeit, die mich seit gestern plagt, auf das Wirken dieses Unseligen zurückzuführen, obwohl ich den Kram nur zur Hälfte aufessen konnte. Fest steht aber, daß man dem Kantineninhaber die Lizenz zum Geldmachen abnehmen und ihn einem der dort ebenfalls essenden Bewährungshelfer zuordnen müßte.
Die klagen nämlich auch über das Preis-Leistungs-Gefälle. Wie auch immer, die für den nächsten Tag angedrohten Putenstreifen „Casimir“ sollte der Koch sich in den Hintern schieben, und er sollte sich ein Handwerk suchen, das seinen Neigungen und Fähigkeiten besser entgegenkommt. Bis dahin nix h h h h.
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