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Arbeiter im Dandy-Look

■ Deutsches Institut für Herrenmode entpuppt sich als Ausbeuter der Arbeiterklasse – zwecks Profitmaximierung / Dandy-Look statt „dickbäuchige Subjekte in schmuddeligen T-Shirts“

Klassenkampf ist „en vogue“. Auf lärmschluckendem Teppichboden kommt er daher – „Brüder, hört die Signale“ in pianissimo. Wegbereiter des Klassenkampfes an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend sind aber weder die rote Bande PDS noch irgendwelche durchgeknallten Anarchos. Das Deutsche Institut für Herrenmode (DIH), seit Jahren unterjocht von den schlechten Verkaufszahlen im Einzelhandel, rief gestern im edlen Hotel Kempinski zum Sturm auf den Kleiderschrank der Arbeiterklasse. Was ganz harmlos als Trends für Herbst/ Winter 1995 und Sommer 1996 angekündigt war, entpuppte sich als gefährlicher Angriff auf die werktätigen Massen, die außer ihrer Freiheit posthum auch noch ihrer Kleidung beraubt werden sollen.

Kernige Models mit mehlsackprädestinierten Schultern und Kieferknochen, die jeder Mühle Ehre machen, präsentierten gestern, was Mann morgen trägt. Jacken, Mäntel und Hosen aus der Welt der Arbeit, der Angler, der Feuerwehr und der Armee. „Wir haben die Kleidung der einfachen Leute neu umgesetzt“, verkündete der Geschäftsführer des DIH, Herbert Piedboeuf. Ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, nahm er Worte wie „Arbeitswelt“ und „arbeitende Bevölkerung“ in den Mund. Daß man Hemden auch ohne Krawatte tragen kann, daran hat sich längst Piedboeuf gewöhnt. Er ist radikal und will die totale Revolution: „Man kann Hemden über der Hose tragen“, missionierte er das sprachlose Publikum. „Man muß es aber nicht tun“, betonte er seine Toleranz für Anderstragende.

Doch auch nicht das männliche Model aus Indien, dessen Hautfarbe im Vergleich zu den solariumgebräunten deutschen Kleindarstellern irgendwie echter wirkte, konnte die Verlogenheit der angekündigten Moderevolte vertuschen. Denn Piedboeuf machte keinen Hehl daraus, daß die „Arbeiterkleidung der ärmeren Schichten der zwanziger Jahre“ der angeschlagenen Branche durchaus Profit bringen könne, der Arbeiter von heute ihn aber irgendwie anekelt: „Keiner läßt sich in Asien so gehen wie diese Figuren am Flughafen.“ Gemeint sind die „dickbäuchigen Subjekte mit schmuddeligen T-Shirts“, die ihren Urlaub in Teneriffa im Trainingsanzug antreten.

Piedboeuf will eine „kulturelle Großtat für eine menschlichere und kultiviertere Gesellschaft“ vollbringen und „die Leute dazu bringen, gepflegter aufzutreten“. Also stellte er gestern die „neue Leitfigur“ der kommenden Saison vor: den Dandy-Look. Brüder, hört ihr die Signale? Barbara Bollwahn

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