: Die Polizei, kein Freund und Helfer
Drei „kritische Polizisten“ aus Hamburg besuchen die nordirische Polizei (RUC) und sind ziemlich entsetzt / Bürgernähe ist auch nach neun Monaten Waffenstillstand immer noch ein Fremdwort ■ Aus Derry Ralf Sotscheck
Nein, daß sie eines Tages mit einem Polizisten von einer Anti- Terror-Einheit an einem Tisch sitzen würde, hätte sie nie gedacht, sagt Bernadette McAliskey. Die 48jährige war Mitbegründerin der nordirischen Bürgerrechtsbewegung. 1969 zog sie – damals hieß sie noch Devlin – als jüngste Abgeordnete ins britische Parlament ein. 1981 wurde sie bei einem Mordanschlag, bei dem vermutlich die „Sicherheitskräfte“ ihre Finger im Spiel hatten, schwer verletzt.
Der Anti-Terror-Polizist, dem sie jetzt in einer Gaststätte in ihrem Heimatort Coalisland gegenübersitzt, gehört allerdings nicht der nordirischen Royal Ulster Constabulary (RUC) an, sondern der deutschen Polizei. Winfried Holzinger – inzwischen arbeitet er bei der Drogenfahndung – ist mit seinen Kollegen Manfred Mahr und Jürgen Bugla vier Tage in Nordirland unterwegs, um sich selbst ein Bild zu machen und Erfahrungen aus Deutschland einzubringen. Alle drei gehören zur „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten“.
Die Rundreise ist vom Belfaster Gemeindeforum für Polizeiarbeit und vom Pat-Finucane-Zentrum in Derry, der zweitgrößten nordirischen Stadt, organisiert worden. Pat Finucane war ein Menschenrechtsanwalt, der 1989 in Belfast unter Mithilfe des britischen Geheimdienstes MI-5 erschossen wurde. Paul O'Connor vom Pat-Finucane-Zentrum sagt: „Die drei kritischen Polizisten aus Deutschland setzen sich für eine demokratische, entmilitarisierte, nicht-rassistische und nicht-sexistische Polizei ein. Für solch subversive Ansichten würden sie in Nordirland wahrscheinlich eingesperrt.“
Doch Joseph McKeever, der Polizeichef von Derry, empfängt die drei deutschen Gäste freundlich. Das Polizeihauptquartier an der Strand Road, wo früher eine psychiatrische Anstalt stand, ist gut neun Monate nach dem Beginn des Waffenstillstands in Nordirland noch immer verbarrikadiert. Der Abbau des häßlichen Wachturms, ein hoch aufragender Drahtverhau, ist zwar schon lange versprochen, aber immer wieder verzögert worden.
McKeever, der zu Beginn des nordirischen Konflikts vor 26 Jahren in den Polizeidienst eingetreten ist, sieht die RUC als normale Poizei in einer unnormalen Situation. Sicher, ein paar Reformen seien notwendig, um sich an die neue Situation anzupassen, die der Friedensprozeß mit sich bringe. Aber die RUC habe sich stets als „eigener Friedensprozeß“ begriffen, sagt McKeever. Damit meint er die „Terrorismusbekämpfung“. Rund 8.400 Beamte arbeiten bei der Polizei. Hinzu kommen 3.000 Reservisten und 1.400 Teilzeitkräfte. Auf die Einwohnerzahl bezogen sind es mehr als doppelt soviel wie im britischen Durchschnitt. Fast alle sind Protestanten.
Bei ihren Gesprächen mit Bürgerinitiativen, Opfern von Polizeigewalt und VertreterInnen der verschiedenen nordirischen Parteien hören die kritischen Polizisten aus Deutschland immer wieder, daß die RUC normale Polizeiaufgaben kaum je wahrgenommen hat, sondern sich als militärische Organisation im Kampf gegen die IRA aufgeführt hat. Und sie hat viel Dreck am Stecken. In den 80er Jahren stieß der ehemalige Polizeichef von Manchester, John Stalker, bei einer Untersuchung auf Bombenanschläge und Mordserien, an denen auch die höheren RUC-Ränge beteiligt waren. Als er den damaligen Polizeichef John Hermon dazu vernehmen wollte, wurde Stalker mit einer fadenscheinigen Begründung, die sich später als Lüge entpuppte, abgesetzt. Die „Stalker-Affäre“ hat den Ruf der RUC damals auch in Großbritannien angekratzt.
Nun gibt sich die Truppe fortschrittlich. Wenn von seinen Leuten sich jemand etwas zuschulden kommen lasse, müsse er mit Konsequenzen rechnen, sagt McKeever und klopft auf einen Stapel Akten. „Hier liegen drei Beschwerden gegen Polizeibeamte“, sagt er, „das sind die wichtigsten Akten auf meinem Schreibtisch.“ Es wäre das erste Mal in ihrer Geschichte, daß die RUC einer Beschwerde nachgeht, meint Paul O'Connor.
„Uns ist in den vier Tagen deutlich geworden, daß die RUC ein Teil des Problems ist“, sagt Manfred Mahr. „Im übrigen Europa herrscht keine realistische Einschätzung darüber, was hier vor sich geht. Wir haben das zum ersten Mal hautnah miterlebt.“ Mahr, Bugla und Holzinger glauben, daß der Frieden nur dann eine Chance habe, wenn die RUC ihre Mitverantwortung für den Krieg akzeptiere. Darüber hinaus müßten die Ausnahmegesetze aufgehoben, eine unabhängige Kontrollinstanz geschaffen, Untersuchungsergebnisse veröffentlicht und die „mobilen Unterstützungseinheiten“ aufgelöst werden.
„Der Besuch der kritischen Polizisten war für uns sehr nützlich“, sagt Paul O'Connor. „Er hat uns Ideen vermittelt, wie ein ziviler Polizeidienst aussehen könnte. Es ist wichtig, daß bei der britischen Regierung jetzt ein Lernprozeß einsetzt.“ Bis die Polizei von beiden nordirischen Bevölkerungsteilen – Katholiken wie Protestanten – akzeptiert wird, ist es jedoch ein weiter Weg. Im katholischen Coalisland könnte sich ein Polizist nicht mal eine Schachtel Streichhölzer kaufen, sagt Bernadette McAliskey. „Sie sind völlig ausgegrenzt. Niemand im Ort käme auf die Idee, freiwillig in die Polizeikaserne zu gehen, um einen Diebstahl oder Einbruch zu melden.“
Wie tief das Mißtrauen sitzt, zeigt auch die Tatsache, daß der lokale katholische Pfarrer Joe McVeigh nicht zu dem Treffen mit den kritischen Polizisten erschienen ist. „Für ihn sind alle Polizisten gleich“, sagt McAliskey. „Er konnte es wohl nicht über sich bringen, sich mit einem an den Tisch zu setzen.“
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