piwik no script img

Keiner kam ihm so nah wie seine Gitarre

Und ewig wallt das Holzfällerhemd. Am Ende war das Guinness schuld. Ein Nachruf auf Rory Gallagher  ■ Von Ralf Sotschek

In Irland, seinem Heimatland, war er zum letzten Mal 1992 aufgetreten. Er spielte damals vor der Bank von Irland beim Blues-Festival in der Temple Bar, Dublins „left bank“, und diejenigen, die ihn eine Weile nicht gesehen hatten, bekamen einen Schreck: Rory Gallagher – das zweite „g“ wird nicht gesprochen – war fett geworden. Das Guinness sei schuld, erklärte er seinen Fans, aber als er die ersten Takte von „Laundromat“ hinlegte, waren die Leute beruhigt: Rory war noch der alte. Damals wußte niemand, daß seine Leber schon stark angegriffen war. Anfang Mai ließ er sich eine neue einpflanzen, aber er kam aus dem Londoner Krankenhaus King's College nicht mehr raus: Er starb am Mittwoch an einer Lungenentzündung.

Van Morrison und Gallagher waren die ersten Iren, die mit Rhythm and Blues berühmt wurden. Beide stammen aus der Provinz Ulster im Norden der Insel: Van Morrison aus Belfast, Gallagher aus Ballyshannon in der Grafschaft Donegal. Er zog mit seinen Eltern allerdings schon bald nach Cork im Süden Irlands, wo die Menschen einen singenden Dialekt sprechen. Mit neun bekam er seine erste Gitarre. „Kein Mensch kam ihm jemals so nahe wie seine Gitarre“, sagten seine Freunde über ihn. Mit fünfzehn trat er der Gruppe Fontana bei, einer jener Showbands, wie sie damals zu Dutzenden durch das Land zogen und in Scheunen oder Gemeindehallen zum Tanz spielten. Die Fontana Showband taufte sich später in Impact um. Gallagher überredete 1966 den Bassisten und den Drummer, die Showband zu verlassen und eine eigene Band zu gründen: Taste. Die erste LP, „Taste“, machte die Gruppe in Irland bekannt, nach der zweiten, „On The Boards“, waren die drei weltberühmt. 1968 stießen Richard McCracken und John Wilson zur Band. Im selben Jahr spielte Taste beim Abschiedskonzert von Cream in der Londoner Albert Hall, und bei der LeserInnenumfrage im Melody Maker landete Clapton auf Platz zwei hinter Gallagher. Zu seinen Bewunderern gehörten John Lennon in den sechziger Jahren und Slash von Guns 'n' Roses in den Neunzigern. Er nahm Platten auf mit Muddy Waters, Jerry Lee Lewis und Lonnie Donegan.

Lange Zeit hielt sich das Gerücht, daß Gallagher für Mick Taylor bei den Rolling Stones einspringen würde. Doch der Ire gründete nach der Auflösung von Taste 1971 lieber eine neue Band, die Rory Gallagher Band, mit Wilgar Campbell am Schlagzeug und Gerry McAvoy am Bass. Höhepunkt war die Minitour zu Weihnachten 1973: Die Gruppe spielte in ausverkauften Häusern in Belfast, Cork und Dublin, ein Ausschnitt aus den Konzerten wurde auf der Doppel-LP „Irish Tour 74“ verewigt.

Insgesamt veröffentlichte Rory Gallagher mehr als 20 Platten, 14 Millionen Stück gingen über die Ladentische. Seine Stärke waren jedoch Live-Konzerte. Er war bis Januar in ganz Europa unterwegs, die Krankheit zwang ihn zum Abbruch der Tournee. Bis zum Schluß trat er im karierten Holzfällerhemd, schwarzen Jeans und Baseballschuhen auf, und er spielte immer noch seine alte Fender Stratocaster, die er 1961 in Irland gekauft hatte. Wenn Gallagher mit hochgezogenen Schultern die Gitarre vor den Bauch preßte und mit schmerzverzerrtem Gesicht den Blues ins Mikrofon röhrte, konnte ihm höchstens Alvin Lee von Ten Years After das Wasser reichen.

Vom Alkohol abgesehen waren ihm Drogen zuwider. „In jedem Iren und in jeder Irin steckt ein starkes keltisches, heidnisches Element“, sagte er. „Als abergläubischen Katholiken haben mich diese Exzesse nie gereizt. Der wichtigste Grund dafür war die Angst, daß ich in ein dunkles Loch falle.“ Von der Rockmaxime „Stirb jung und hinterlasse eine schöne Leiche“ hielt er nichts. „Ich will mit 40 oder 50 auf der Bühne stehen wie Muddy Waters“, sagte er. Immerhin auf 47 Jahre hat er es gebracht. Für den Herbst hatte er eine Tournee durch Großbritannien und Irland geplant. Schade. Hoffentlich wissen sie dort, wo er jetzt ist, wie man das Guinness richtig zapft. Mach's gut, Rory – Sláinte!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen