„Lesben sind eine Bereicherung“

■ Harmonie im Rat & Tat Zentrum: Kaum zu glauben, aber es gibt sie, die schwul-lesbische Zusammenarbeit in Bremen

Als Annette Mattfeldt vor einem Jahr als erste und einzige Lesbe neben sechs Schwulen ihre Arbeit im „Rat & Tat-Zentrum für Homosexuelle“ aufnahm, hatte sie düstere Visionen: Sie sah „große Auseinandersetzungen“ auf sich zukommen. Auch Arbeitskollege Arno prognostizierte „einen Affront“, sollten die Lesben sich eigene Räume in dem seit 12 Jahren schwulendominierten Zentrum erobern.

Doch es kam anders, als vorausgesagt: Obwohl das Café des Zentrums an jedem dritten Samstag im Monat allein den Frauen gehört, und Männer keinen Zutritt haben, ist der „Affront“ bisher ausgeblieben. Anfänglich haben ein paar Schwule über das „Elledorado“ der Lesben gemeckert, erinnert sich Zentrums-Mitarbeiter Marcus Kaminski. Mittlerweile aber sei selbstverständlich geworden, daß Lesben das Haus nutzen.

Seitdem Annette Mahnfeldt für die Aidsberatung im Zentrum arbeitet, sucht eine wachsende Zahl von Mädchen und Frauen Rat bei der Psychologin. Gleichzeitig entstand im Haus jene Gruppe von Frauen, die das Café „Elledorado“ aufbauten, das wiederum wie ein Magnet auf andere Lesben wirkte. Besonders bei den „Specials“, Veranstaltungen, die Lesbenpornos, toys oder SM-Praktiken thematisierten, war das Zentrum jedesmal so voll, daß nicht alle Besucherinnen Platz fanden und eine Wiederholung der Specials anmahnten. „Die Schwulen haben den Laden nie so voll gekriegt“, sagt Marcus. Seiner Meinung nach ist die gestiegene Präsenz der Frauen „eine Bereicherung für das ganze Haus“. Die 12jährige Männerdominanz habe zu Langeweile geführt, jetzt aber überlegen auch die Männer, wie sie aktiver werden können.

Dem geänderten Publikum soll schrittweise die entsprechende Personalstruktur im Haus gegeben werden: Nachdem eine der vier festen Stellen freigeworden war, wurde die BSHG-Stelle von Annette Mattfeldt in eine feste Stelle umgewandelt. Darüber gab es keine Diskussionen im Vorstand, obwohl der nach wie vor mit fünf Männern besetzt ist. Doch damit hat die Psychologin keine Probleme: „Ich fühle mich nicht als Quotenfrau. Wenn ich etwas sage, dann hat das Gewicht.“ Sie habe zwar anfangs schweißnasse Hände bekommen, wenn sie bei Vereinsversammlungen die einzige Frau zwischen 50 und mehr Männern war, doch auch die seien ihr mit Achtung begegnet.

Keiner langen Diskussion bedurfte auch die Entscheidung, die vakante Honororarstelle für die Kulturarbeit des Zentrums an eine Lesbe zu vergeben. Die nächsten Posten sollen jeweils für einen Mann und eine Frau ausgeschrieben werden. „Dabei geht es uns nicht um die Quote, sondern um die politische Richtung“, versichert Marcus Kaminski. Und die soll verstärkt in Richtung Zusammenarbeit von Schwulen und Lesben gehen.

„Noch arbeiten Lesben und Schwule wesentlich getrennt“, bedauert Annette Mattfeldt. Bestimmte Problembereiche, ergänzt Marcus Kaminski, machen das auch weiterhin erforderlich. Aber bei Themen wie Altersversorgung, Adoptionsrecht, Homo-Ehe gelte es, die schwul-lesbische Zusammenarbeit zu verstärken, die in Bremen bislang nur in Ansätzen existiert. „Das Rat und Tat Zentrum ist der Ort, wo sich sowas etablieren könnte“, meint Annette Mattfeldt. Hat sie im vergangenen Jahr eher darauf gedrängt, die Präsenz der Lesben im Zentrum zu sichern, will sie sich künftig für ein Programm starkmachen, das die Schwulen und Lesben zu gemeinsamen Diskussionen ruft.

Eine davon könnte eine Gruppe im Haus betreffen, die seit Bestehen des Zentrums für Auseinandersetzungen sorgt: die Pädophilengruppe. „Die könnten von mir aus auch woanders tagen“, sagt Marcus, kein Hehl daraus machend, daß er die Pädos nicht unbedingt im Hause halten will. Doch diese Meinung trifft auf Widerstand bei anderen Schwulen. Annette Mattfeldt hatte bei Aufnahme ihrer Arbeit noch die gleichzeitige Präsenz von Pädophilengruppe und Lesben für „unvereinbar“ gehalten. Ein Jahr später aber, blickt sie zurück, hat sich nicht eine Lesbe beschwert oder ihr Wegbleiben mit der Pädophilengruppe begründet.

Beschwerden aber gab es immer wieder über die Selbstdarstellungsform des Rat und Tat Zentrums: Der Antrag auf „Mitgliedschaft“ schreckte nachweislich mehrfach Frauen davon ab, dem Verein beizutreten. Folge: Unter den etwa 200 Vereinsangehörigen sind kaum Frauen. Flugblätter, Broschüren und Formbriefe sollen lesbenfreundlicher gestaltet werden. Annette Mattfeldt: „Die Frauen sollten nicht warten, daß der rote Teppich ausgerollt wird. Der liegt nämlich schon aus.“ Dora Hartmann