: Das Verkehrsmittel ohne Antrieb
High-Tech-Tretroller für Erwachsene werden als Alternative zu Auto und Fahrrad angeboten / Der Sidewalker wird als Sportgerät eingesetzt und findet als Therapiehilfe Verwendung ■ Von Norbert Seeger
Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung: Wer als Knirps nie den heißersehnten Roller geschenkt bekam oder sich nach vielen Jahren wehmütig an sein altes Gefährt erinnert, braucht nicht länger zu schmachten. Kindheitserinnerungen und -wünsche können nun auch von Erwachsenen ausgelebt werden. Das Zauberwort heißt Sidewalker, denn die simple Bezeichnung Tretroller läßt die Konsumentenherzen trotz des hohen Erinnerungswertes kaum höher schlagen.
Die Namensgebung wird dem Fahrzeug allerdings auch gerecht, denn die Ähnlichkeit der aus Österreich stammenden Wiederentdeckung mit dem Fahrzeug unserer Kindertage ist nur gering. Reichten früher ein paar Vollgummireifen, verbunden mit einer Holzplanke, die nach oben hin in etwas Lenkerähnlichem endete, hat man heute die ganze Palette der High-Tech vor sich. Der Rahmen des neuen Rollers besteht aus hochlegiertem Stahl, sogenanntem Cro-Moly. Da er mitschwingt, ist auch grobes Kopfsteinpflaster kein Hindernis mehr. Lenker und Gabel sind aus dem Mountainbikebereich entlehnt und ebenso für Erwachsene dimensioniert. Im Ernstfall kann man das Ganze mit „Cantilever“-Bremsen zum Stehen bringen. Diese am Rahmen befestigten Geräte sind technisch gesehen der letzte Schrei und haben eine besonders hohe Bremswirkung.
Der High-Tech-Tretroller erscheint vielen auf den ersten Blick als albernes Zeitgeist-Spielzeug. Doch der Sidewalker hat durchaus seinen Sinn und Nutzen – glaubt man den Aussagen von Nikolaus Prasse, seines Zeichens Vertriebsleiter der Roller für die Bundesrepublik: „Der Sidewalker ist nicht nur ein Kindergefährt, sondern eine adäquate Alternative nicht nur zum Auto, sondern auch zum Fahrrad.“ Anwendungsmöglichkeiten für den Roller sieht er viele. Vor allem bei Firmen mit großen Fertigungshallen, in denen die Wege weit genug sind, um ein Fahrrad zu benutzen, der Einsatz desselben aber zu gefährlich wäre. Ebenso nützlich seien die Roller außerdem in Messehallen und Großflughäfen.
In Krankenhäusern wird das Gefährt bereits verstärkt eingesetzt. Hier wird es sowohl vom Personal zum Zurücklegen der langen Wege auf dem Gelände als auch in den angegliederten Rehabilitationszentren benutzt. Die Patienten werden damit beweglicher gemacht. Die Sidewalker dienen nicht nur als Fortbewegungshilfe, sondern auch zum Muskeltraining. Mittlerweile fragen auch Skisportvereine verstärkt nach den Fahrzeugen, die bereits als Trendsetter begehrt sind. Die Roller haben also nicht nur therapeutischen Nutzen, sondern dienen auch Sportlern zum Trainieren ihrer Oberschenkelmuskulatur. Auch im kosmetischen Bereich liegen Prasse zufolge Stärken des Sidewalkers, „da er geeignet ist, die Cellulitis einzudämmen“. Neben diesen „kommerziellen Anforderungen“ ist er allerdings auch „ideal für den kleinen Einkauf im Kurzstreckenbereich bis zu drei Kilometern“, wie zumindest die Berliner Fahrradhändler zu berichten wissen, die das universal verwendbare Gefährt im Schaufenster stehen haben.
Der Trend geht allerdings noch nicht zum Drittfahrzeug Sidewalker: Von den jährlich zwischen 3.000 und 5.000 hergestellten Stück sind 1995 erst 100 nach Berlin ausgeliefert worden. Zwar werden sie hier seit Februar in fünf Läden angeboten. Doch obwohl die Roller sich als Publikumsmagnet erwiesen hätten, seien die Verkaufszahlen noch recht schleppend, weiß Robert Brandl vom Fahrradhof Steglitz zu berichten. „Viele Menschen kommen allein wegen der Roller in unseren Laden und wollen eine Probefahrt machen.“ Das dabei am meisten gehörte Argument sei, daß sie sich „dadurch an ihre Kindheit erinnert fühlen“. Die Begeisterung für den Kindertraum findet aber fast immer dann ein jähes Ende, wenn nach dem Preis gefragt wird: Je nach Modell müssen für die Tretroller zwischen 500 und 700 Mark berappt werden. Momentan gibt es zwei verschiedene Roller für Erwachsene und einen für Kinder ab sechs Jahren.
Was den Sidewalkern in Berlin nach Brandls Worten noch fehlt, ist das „In-Sein“. Dabei liegen ihre Vorteile seines Erachtens klar auf der Hand. „Ähnlich wie mit dem Fahrrad ist man mit ihnen genauso schnell wie mit dem Auto, dessen Durchschnittsgeschwindigkeit im Stadtverkehr 22 Stundenkilometer beträgt“, wie auch Broder Michelsen vom Räderwerk seinen interessierten Kunden klarmacht.
Außerdem sind die Fahrzeuge nach Michelsens Ansicht „ideal für den sich nun ökologisch geben wollenden Autofahrer, dem durch jahrelange Abstinenz die Praxis beim Radfahren fehlt und der sich nunmehr mit der Aggressivität seiner ,Exkollegen‘ auf der Straße konfrontiert sieht“. Denn im Gegensatz zu Fahrrad und Auto darf mit den Rollern noch relativ ungeniert auf dem Bürgersteig oder auch in für Fahrräder gesperrten Parkanlagen gefahren werden, da sie nicht von den Verbotsregeln der Straßenverkehrsordnung erfaßt sind. Eine Tatsache, die sich schnell ändern kann, wenn sich das Fahren mit dem Roller spätestens bis zum Sommer 96 endgültig durchgesetzt haben wird, wie Optimisten verkünden.
„Der Sidewalker ist keine kurzfristige Zeiterscheinung“, davon ist Prasse überzeugt. Der Grund für diese Zuversicht: Bis zum Sommer 1996 sollen ein Kinderroller für Kleinkinder und ein sogenannter „Down-Hill“-Roller neu ins Programm aufgenommen werden. Letzterer soll die Mountainbiker als Kunden gewinnen. Denn der „Down-Hill“ ist allein zum Herunterrasen von steilen Abhängen gedacht. Prasse hofft darauf, daß sich hierfür vor allem die Wintersportorte interessieren werden, deren Hänge schon so stark zerstört sind, daß sie auch im Sommer keine Ruhepause mehr benötigen. Zwar gibt er zu, daß das nicht sehr ökologisch gedacht ist, gleichzeitig gibt er aber zu bedenken, daß „die Roller im Gegensatz zu den Mountainbikes nicht den Boden durchpflügen, da ihnen der eigene Antrieb fehlt“.
Daß auf den eigenen Antrieb getrost verzichtet werden kann, demonstrieren zumindest die Verkäufer des Sidewalkers. Robert und Broder benutzen ihn so, wie es von seinen Vertreibern propagiert wird: Entweder um die Kaffeevorräte aufzufrischen oder um der Imbißbude an der Ecke einen Besuch abzustatten.
Probegefahren werden können die Sidewalker in folgenden Fahrradläden:
Fahrradhof Steglitz, Feuerbachstraße 26, 12163 Berlin.
Räderwerk, Körtestraße 14, 10967 Berlin.
Otto Klein, Ritterstraße 12, 10969 Berlin.
Radsport Sonntag, Uhlandstraße 98-99, 10715 Berlin.
MTB-Center, Weinsbergweg 20, 10119 Berlin.
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