Short Stories from America
: Selbstmörderische Rüpel

■ Zwei Senatoren rüsten auf gegen Blasphemie und die Macht der Bilder

Die Amerikaner halten derzeit nicht allzuviel von ihrer Regierung, aber bei mir hat sich das ganz plötzlich geändert – das verdanke ich einer neu entdeckten Liebe zu zwei Senatsführern, die mich früher zur Raserei brachten. Die Senatoren Phil Gramm und Bob Dole, beides republikanische Präsidentschaftsaspiranten, die mit der äußersten Rechten kokettieren, haben „christliche Familienwerte“ durch den Kongreß gepeitscht (Gesetze gegen Geburtenplanung und Sexualausbildung zum Beispiel), dazu den eigenartig benamsten „Kontrakt mit Amerika“, der unter anderem die Sozialleistungen für die Alten und Armen beschneidet, während er den reichsten Firmen und Individuen Steuernachlässe beschert.

Gramm, der lautstarke Verfechter christlicher Familienwerte, steckt sein Geld in Pornofilme. Seinem ehemaligen Schwager zufolge, einem Pornoproduzenten, war er 1973 „ganz scharf“ darauf, sich an einem Film namens „Truck Stop Women“ zu beteiligen. Die Regie sollte Mark Lester führen, der 1971 für einen kurzen Augenblick berühmt wurde, als er einen pornographischen Nixon- Film drehte, „Tricia's Wedding“, mit einer Gruppe lesbischer Darstellerinnen aus San Francisco. Gramm hatte allerdings Pech: „Truck Stop Women“ war finanziell bereits ausreichend versorgt, aber Gramm nahm seinem Schwager das Versprechen ab, er solle ihn beim nächsten Projekt vorrangig bedenken. Das sollte ein Film namens „Schönheitsköniginnen“ werden, im Jahre 1974. Vermutlich glaubte Gramm, die Truppe aus San Francisco sei wieder dabei, aber es war anscheinend die Geschichte mehrerer weiblicher Bewerberinnen in einer Schönheitskonkurrenz, die die Juroren mit nächtlichen Sonderleistungen bedenken. Wie die New York Times berichtet, fand Gramm es „toll“, daß das Drehbuch „voller Bestialität und Blasphemie“ steckte. Er investierte 7.500 Dollar (heute wären das 17.000). Auch dieses Projekt scheiterte, aber Gramm konnte seine Investition auf einen anderen Nixon-Porno umlenken, „Wahnsinn im Weißen Haus“, wieder unter der Regie des verläßlichen Lester. Seine Präsidentschaftskandidatur dürfte damit erledigt sein, aber mir erschien „Truck Stop Women“ als das Netteste, was ich bisher über diesen Mann gehört habe.

Dole hat mich auf andere Weise bezaubert. In der letzten Woche schäumte er in einer seiner Reden über die sexuelle Unmoral und Gewalttätigkeit Hollywoods, die, wie er sagte, die Nation zugrunde richteten. Die Bilder in „Natural Born Killers“ und „True Romance“ und die Texte schwarzer (aber nicht weißer) Rap- Bands entfesseln das Verbrechen in unseren Städten. Ich hatte nie gedacht, daß Dole Musik oder Filme überhaupt zur Kenntnis nähme, aber anscheinend nimmt er sie durchaus ernst. Anderthalbstündige Filmstreifen machen aus Jugendlichen mit liebevollen, aufmerksamen Eltern selbstmörderische und mörderische Rüpel. Das alles können Filme – welche Kraft, welcher Einfluß! Und ich, als Filmkritikerin in den USA, bin in meiner kleinen Ecke daran beteiligt. Mr. Dole, Sie schmeicheln mir. Früher dachte ich, ich schriebe Woche auf Woche über vorwiegend alberne Filme, damit junge Menschen – im Stich gelassen von Schule und Eltern – selbst entscheiden könnten, in welche Phantasie sie sich flüchten wollten. Jetzt muß ich feststellen, daß ich gar nicht bloß mit Phantasien handle, sondern an der stärksten Macht des amerikanischen Lebens teilhabe. Die USA sind die bei weitem gewalttätigsten unter den Industrienationen, und ich bin Teil der Ursache. Diese neue Rolle muß ich mir erst mal bewußt machen, sie ausprobieren, ausreizen. Im Spiegel wirke ich schon viel besser, straffer, fester. Und das alles dank Mr. Dole. Eine kleine Stimme in mir erinnert mich an den alten Witz über den Juden in Nazi-Deutschland, der gern die Nazi-Zeitungen las.

Als ihn seine Freunde nach dem Grund fragten, antwortete er: „Wenn ich die jüdischen Zeitungen lese, erfahre ich, daß wir aus unseren Wohnungen und Geschäften vertrieben werden, daß man uns zwingt, den gelben Stern zu tragen, und uns in Konzentrationslager steckt. Aber wenn ich die Nazi-Presse lese, dann merke ich, daß wir die Banken besitzen und die Welt regieren.“ Diese kleine Stimme sagt mir, Mr. Doles Schmeicheleien könnten mich vielleicht in die Irre führen. Aber dann denke ich: kümmer dich nicht drum, und geh zur Gymnastik. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von

Meinhard Büning