: Hungern im Herbstcamp
■ Jugendamt warnt vor privaten Anbietern von Jugendfreizeiten
Unter dem Namen „Jugend Aktion Netzwerk Umwelt u. Naturschutz“ warb kürzlich ein Anbieter per taz-Anzeige Kinder und Jugendliche für ein „Naturkundliches Herbstcamp 95“ auf Neuwerk bei Cuxhaven. Die zehntägige Fahrt soll 300 Mark kosten, inklusive Vollpension, Programm und Betreuung.
Ein preiswertes Angebot, dazu noch ökologisch angehaucht. Also alles gut? Mitnichten: „Wir möchten Kinder, Jugendliche und deren Erziehungsberechtigte vor dem Veranstalter warnen und können den Erziehungsberechtigten nicht empfehlen, ihre Kinder für dieses Sommercamp anzumelden“, schreibt das Bremerhavener Jugendamt der taz. „Im Zusammenhang mit ähnlichen Aktivitäten dieses Veranstalters im Jahre 1994 ist uns bekannt geworden, daß die Betreuung und die Verpflegung der Teilnehmer nicht gewährleistet war, und es auch finanzielle Ungereimtheiten gegeben hat.“ Eine Nachfrage ergab, daß der Veranstalter Michael L. sogar im Verdacht steht, Kinder geschlagen und durch die schlechte Verpflegung indirekt zum Diebstahl von Lebensmitteln genötigt zu haben.
Die Maßnahme fand im vergangenen Herbst in der Elbtalaue bei Wittenberge statt. Michael L. hatte sich die Fahrt vom Jugendumweltnetzwerk „Janun e. V.“ (Jugendaktion Natur- und Umweltschutz Niedersachsen) vorfinanzieren lassen. Die MitarbeiterInnen bestätigen, daß es massive Probleme bei dem Camp gab, das allerdings, und auf die Festtellung legt „Janun“ großen Wert, von Michael L. in eigener Verantwortung geplant und durchgeführt wurde. Es fand weder im Namen von „Janun“ statt, noch machte das Jugendumweltnetzwerk Werbung für sein Seminar. Michael L. ging trotzdem im Namen von „Janun“ einkaufen. Der renommierte Jugendverband beklagt nicht allein die bis heute ungelösten Abrechnungsprobleme: „Wir möchten nicht, daß er zukünftig wieder versucht, Seminare oder Freizeiten mit Kindern durchzuführen. Durch unsere Erfahrungen mit ihm sind wir der Ansicht, daß er dazu nicht die notwendigen pädagogischen Fähigkeiten besitzt.“
Diese werden in aller Regel durch den Jugendgruppenleiterausweis nachgewiesen. Wer bei den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe eine Ausbildung gemacht hat, erhält den für ein Jahr gültigen Ausweis beim Jugendamt. Diesen hat sich „Janun“ nicht von Michael L. vorlegen lassen und räumt insofern ein „Versäumnis“ ein. Man hatte sich auf Michael L. verlassen, da er als ehemaliger Mitarbeiter eines Wohlfahrtsverbandes schon häufiger Jugendmaßnahmen durchgeführt hatte. Im Übrigen sei der Ausweis von den Behörden zu überprüfen, vom Jugendamt also.
Doch dort erfährt man, wenn überhaupt, nur durch Zufall, welche Ferienmaßnahmen von privaten Veranstaltern angeboten werden. Daher liegt die beste Kontrollmöglichkeit zweifellos bei den Eltern. Sie hätten feststellen können, daß der Jugendgruppenleiterausweis von Michael L. längst abgelaufen ist, wie er selbst gegenüber der taz gestand. Die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestreitet er, bei ihm seien keinerlei Klagen von Eltern eingegangen. Der Frage, warum er unter einem Namen wirbt, der zum Ärger von „Janun“ beinahe mit dem ihres Verbandes identisch ist, weicht er aus: „Wir wollen in Bremerhaven etwas ähnliches aufbauen.“ Das einzige, was er sonst noch verrät, ist, daß bislang keine Anmeldungen für die Ferien auf Neuwerk vorliegen.
Dem Jugendamt ist das recht. Da man aber nicht ausschließen kann, daß Michael L. oder andere Privatanbieter in mehreren Städten aktiv sind, lautet die Empfehlung an die Eltern, ihre Kinder bei Freizeitmaßnahmen nur den anerkannten Jugend-, Sport- und Wohlfahrtsverbänden zu überlassen. dah
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