: Dieses bißchen Spaß
■ Keep on raiing in the free world: Khaled, Exilalgerier, Musikweltreisender und Superstar des Rai, über Le Pen und Don Was, über Freunde, die er sich ausgesucht hat, und Feinde, bei denen das nicht ging
taz: Seit einigen Jahren nennen Sie sich nur noch Khaled, nicht mehr Cheb Khaled – „der Junge“ Khaled. Wohin ist er verschwunden, der Cheb?
Khaled: Sie werden es nicht glauben, aber ich habe ihn einfach deswegen weggelassen, weil nicht wenige Leute in Europa dachten, das sei mein Familienname. Tatsächlich aber heiße ich Hadj-Brahim Khaled. Weil das zu kompliziert ist, blieb es dann bei der ganz kurzen Lösung: einfach Khaled.
Ich dachte schon, es hätte damit zu tun, daß der Rai erwachsen und universell werden will – weg vom bloß jugendlichen Publikum.
Nein, nein, das spielt eigentlich nicht die entscheidende Rolle. Aber wahr ist, daß der Rai ursprünglich Erwachsenenmusik war. Er kommt von den Hirten, wo er sich über Jahrhunderte hinweg nur wenig veränderte. Erst in den Sechzigern und Siebzigern wurde er zur Stimme der Jungen und Unzufriedenen, besonders aber 1988, als es zu den Aufständen in Oran und anderswo kam. Heute gibt es ein festgelegtes Alter eigentlich nicht mehr. Jeder kann mitmachen. Aber was Algerien anbelangt – da sind nun mal die meisten jung.
75 Prozent der Bevölkerung unter 25, liest man.
Ja, das stimmt. 87 Prozent, glaube ich, sind nicht älter als ich, und ich bin jetzt 35. Algerien ist wirklich ein Land der Jungen. Damit hängen aber auch die ganzen Probleme zusammen, die dieses Land hat: Arbeitslosigkeit, kein Geld, keine Wohnung, überall Grenzen und wenig Aussicht, daß sich das ändert. Die meisten wollen einfach nur noch weg. Rai-Musik ist in dieser Situation etwas ungeheuer Wichtiges. Sie müssen sich das so vorstellen: Nichts ist da außer diesem bißchen Spaß. Ohne Musik geht man da ein.
Sie waren seit 1990 nicht mehr in Algerien, wohnen in Paris, wo die afrikanische Musik heute im Grunde gemacht wird.
Das ist keine freiwillige Situation. Ich bin heute zwar ein internationaler Star, aber ich komme nun mal aus Algerien. Daß ich in meinem eigenen Heimatland nicht mehr auftreten kann, hat Gründe, die jeder kennt: Vor nicht einmal einem Jahr wurde Cheb Hasni von Fundamentalisten ermordet, das gleiche ist Rachid passiert, einem sehr bekannten Produzenten, und vielen anderen. Ich selbst stehe weit oben auf der Liste unliebsamer Personen, aber es muß nicht mal eine direkte Anweisung von irgendwelchen Drahtziehern im Hintergrund geben, es genügt, daß ein Verrückter findet, hier gingen irgendwelche gottlosen Dinge vor sich, und schon geht eine Bombe hoch. Nicht, daß ich Angst vor dem Tod hätte, aber schon um der Sicherheit der Leute willen, die zu meinen Konzerten kommen, ist ein Auftritt in Algerien zur Zeit einfach nicht drin. Aber es ist ja nicht so, daß man in Frankreich alle Probleme los ist. Auch hier verschärft sich die Lage mehr und mehr. Le Pen und Front National haben Wahlerfolge, es gibt schon rechtsextreme Bürgermeister, in Orange und Toulon zum Beispiel.
Sie haben sich dagegen ausgesprochen, in solchen Städten nicht mehr aufzutreten, wie einige französische Intellektuelle gefordert haben.
Ja, denn ein Boykott würde den falschen Leuten nützen. Wenn es in Algerien möglich wäre, würde ich dort auftreten. Das geht nicht, aber ich habe mir immerhin den Mund nicht verbieten lassen. Wieso sollte ich jetzt klein beigeben? Es würde aussehen, als hätte ich Angst, und außerdem trete ich für alle auf, die mich sehen wollen. Man darf sein Publikum nicht bestrafen.
Für das, was Cheb Hasni gemacht hat, gab es die Genre-Bezeichnung „Rai Love“. Wie würden Sie ihre Version des Rai beschreiben?
Hasni war vor allem in Algerien ein Star, ein sehr großer Star. Seine Musik ist slow, gefällig, man hat ihn den Julio Iglesias des Rai genannt. Er sang von der Liebe, es waren ...
... Schlager?
Nennen wir es einfach Liebeslieder, populäre Liebeslieder. Von der Liebe singe ich natürlich auch, aber es sind noch andere Themen hinzugekommen: Freiheit des Worts, Freiheit der Frau, auch Sex und Alkohol. Das heißt, es ist immer noch Rai, was ich mache, aber ein ganz anderer Stil. Ich singe von der Krise, und ich singe mit Wut. Außerdem leiste ich mir Experimente, spiele mit verschiedenen Musikern zusammen – mit Safy Boutella und vielen, vielen anderen. Es ist eine Entwicklung da. Als ich anfing, war ich zehn. Meine erste Schallplatte machte ich mit 15, auf einem uralten Zweispurgerät. Erst später gab es so etwas wie Produzenten, dann Synthesizer. Jetzt habe ich im Studio 90 Spuren zur Verfügung, das ist schon enorm. Und es geht immer weiter.
Manche haben Ihnen deswegen den Vorwurf gemacht, verwestlicht zu sein.
Ach was, ich habe die Musik nicht verwestlicht, sondern schlicht und einfach verbessert, das ist etwas ganz normales. Gut, man darf eine Musik nicht verraten, nicht ausverkaufen, das ist wahr, aber ich habe die traditionellen Instrumente, die Geige, die Trommeln, das Akkordeon, das ich gelegentlich auf der Bühne selber spiele, ja nicht einfach rausgeschmissen, ich habe einfach nur neue Sachen hinzugenommen. Immer nur das gleiche – das hat doch auf Dauer keinen Charme. Es ist die Musik selbst, die fordert, daß man sie immer wieder neu sucht und findet.
Tatsächlich schließt sich die Musik, von der man dachte, sie käme von den Rändern, immer schneller an die internationalen Produktionswege an. Cheb Mami hat sein jüngstes Album in Los Angeles produziert, Bill Laswell produziert in New York Bands aus Marokko und anderswo. Bänder gehen hin und her, die Musiker leben ein modernes Nomadenleben.
Absolut. Mein nächstes Album wird „Voyage“ heißen, und das nicht umsonst. Ein oder zwei Stücke will ich mit den Wailers, Bob Marleys alter Gruppe, in Jamaika aufnehmen, dann geht's nach Los Angeles, wo ich drei oder vier Stücke mit Stevie Wonder an den Tasten aufnehmen will – Don Was wird Produzent sein, er hat auch den Kontakt hergestellt. Im Senegal werde ich mit Youssou N'Dour arbeiten. Dann geht es wieder zurück nach London, wo ich mit Sting zusammen Musik machen werde.
Echt? Mit Sting?
Klar, natürlich. Ich freue mich darauf. In Frankreich dann ist eine Kooperation mit Jean Jacques Goldmann geplant, dem Texter von Johnny Hallyday, der zwei Stücke für mich vorbereitet hat. Und und und. Ich möchte damit zeigen, daß der Rassismus in der Musik keine Chance hat, daß ich als Maghrebiner mit Amerikanern, Europäern, Juden zusammenspiele – und es klappt. Jean Jacques Goldmann zum Beispiel ist französischer Jude, die Araber werden das nicht so toll finden, daß ich was mit ihm zusammen mache, aber was soll's? Dann mache ich es erst recht, und es ist ja auch meine Botschaft: daß man sich öffnen muß zur Welt.
Mit Don Was haben Sie schon für ihr erstes internationales Album zusammengearbeitet, er hat Ihren Hit „Didi“ produziert.
Ja, c'était un travail cool, wir sind Freunde geworden. Ich rufe ihn an, wann immer ich will. Als er ein Haus in Los Angeles gebaut hat, hat er gleich noch eins für mich mitgebaut, direkt daneben.
Wirklich?
Aber ja! Khaled, hat er zu mir gesagt, was sollst du im Hotel wohnen, wenn wir hier doch das Grundstück haben und sowieso die ganze Zeit zusammen im Studio sind. Ich mag Don Was, er ist einfach ein feiner Mann, ein Künstler, auch ein wirklich guter Musiker. Er ist ein Genie. Und so menschlich! Er raucht nicht, trinkt nicht vor seinem Sohn – das ist eine Frage des Respekts. Für einen Amerikaner absolut ungewöhnlich. Don Was ist da fast wie ein Araber. Sagt mir einfach: Wenn du für dein drittes Album kommst, hier, mein Haus ist dein Haus. Don Was ist ein Mann, der wirklich arbeitet, als wären alle eine große Familie.
Die Musik internationalisiert sich weiter. Mittlerweile gibt es schon Techno-Remixe von einigen Ihrer Songs, etwa von „N'ssi n'ssi“.
Ja, aber das geht natürlich nicht direkt von mir aus, sondern von meiner Plattenfirma. Die geben die Bänder raus, andere mischen das neu ab. Es gibt schon englische, italienische, französische Remixe. „C'est pour la boite“, das ist speziell für die Diskotheken gemacht.
Aber Sie mögen es?
Aber ja! Wie gesagt, Diskotheken, Tanzen, das ist doch in Ordnung. Am liebsten mag ich den Remix eines Franzosen, der sich Garge nennt.
Erstaunlich ist, wie schnell sich Elektronik in der arabischen Welt durchsetzt, obwohl doch die Traditionen noch viel wirksamer sind als „im Westen“. Selbst die Fundamentalisten, die alle modernen Einflüsse verdammen, arbeiten mit Technik, verkünden ihre Botschaften über Lautsprecher und Fernsehen.
Nun, das ist wirklich ein bißchen schizophren, aber das Fernsehen bringt ja auch Rai-Übertragungen. Bis heute. Alles ist in Bewegung. Es ist nie einfach, selbst wenn man im Maghreb aufgewachsen ist, rauszukriegen, was erlaubt ist und was nicht, aber am Ende ist es immer der einzelne Künstler, der stört. Als ich mit Safy Boutella 1987 „Kutche“ machte, hatte ich Angst. Könnte es vielleicht zu Techno sein? Aber die Algerier haben es akzeptiert. Als ich dann drei Jahre später „Didi“ mit Don Was gemacht hatte, war ich noch mehr gespannt, was passieren würde. Und erstaunlicherweise wurde ich in der ganzen arabischen Welt eingeladen: Dubai, Abu Dhabi, Ägypten, Libanon, bis runter an den Golf von Persien. Das erste Mal wurde ein Algerier offiziell an den Golf eingeladen. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß heute auf fast jedem Dach Parabolantennen montiert sind. Überall wird MTV gesehen. Alle mögen Techno-Musik. Also warum eigentlich keine Technoplatte mit arabischem Gesang? Sicher, einigen wird das nicht passen, aber das ist im Grunde überall auf der Welt so. Warten wir ab, ich denke nicht, daß sich die Entwicklung aufhalten läßt. Interview: Thomas Groß
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