: Rundumschlag
■ Wohnkultur, Folge 3: Abseilen, bevor die Kunst Ernst wird
Treptow 95. Alle reden vom Reichstag, von Christo und Jeanne-Claude. Keiner redet von Herrn Thomas E. Und dem Haus, in dessen Besitz er kürzlich durch eine erkleckliche Erbschaft kam. Herr E. ist erstaunlich jung. Ob er der Kunst frönt, ist ihm – im Gegensatz zu seinem Alter – nicht anzusehen. Es gibt allerdings ein Anzeichen, das für Herrn E.s geheimes Streben zum Lichte spricht: Auch Herr E. wird das ihm vermachte Haus verpacken. Ende August, vollständig, und zwar mit weißen Polydingsbums-Planen. Danach wird Herr E. seinem Kunstwerk sämtliche kränkelnden Eingeweide herausreißen lassen: die qualmenden Öfen, wackelnden Fenster, Stromleitungen, Gas-, und Wasserrohre. Herr E. wird den nassen Wänden und schimmeligen Decken zu Leibe rücken. Ich wohne in diesem Haus.
Den wenigen verbliebenen Mietern klingt das Hämmern aus den leeren Wohnungen im ersten, zweiten und dritten Stock in den Ohren wie die Posaunen Jerichos. Bald werden sie kommen, die Männer in den blauen Zweiteilern mit den Schutzhelmen und den Baseballmützen auf dem Kopf. Sie werden von außen ins Zimmer glotzen, wenn ich wie jetzt am Computer sitze und freundlich die Mühsal des Lebens besinge. Sie werden mit Eisenstangen klappern und mich wünschen lassen, ich hätte eine solche, um auf Christo, das Vorbild aller Treptower Hausbesitzer, einzuschlagen. Wer sagte doch gleich, daß Kunst wie eine Schwangerschaft ist? Meine lieben Eltern aus Eisenhüttenstadt zum Beispiel waren ganze neun Monate verhüllt. Die neunmonatige Haft in ihrer tannengrünen Gruft neigte sich nach und nach ins Depressionsfarbene. Schwangerschaftspsychose. Die Niederkunft des Aufschwungs Ost erfolgte schließlich in Gestalt einer eleganten altrosa Fassade mit feschen Kippfenstern samt Marmorfensterbänken, die zum Ausblick auf das neuerrichtete Eisenhüttenstädter „City Center“ luden.
Das Haus von Herrn E. in Treptow bietet keinen so futuristischen Ausblick, sondern nur einen armseligen auf ein kürzlich enthülltes Haus. Dessen Besitzer macht sicher auch in Kunst. Bald kommen sie also, die Männer im blauen Baumwolldrillich. Sie werden mit ihren staubigen Botten über meinen guten grauen Ripsteppichboden, der Meter zu 4,95 Mark, trampeln, die Bücherstapel umstoßen und „Bruno, jib ma die Zange!“ brüllen. Ich werde tage-, wenn nicht wochenlang die winzige, arschkalte Badekammer nicht benutzen können. Ich werde verkommen und ein Schwein sein. Den Computer werden die Kerle beim Einbau der neuen Fenster oder Zentralheizung kleinkriegen. Egal wo ich ihn verstecke, sie werden ihn finden. Immer dann nämlich, wenn ich am Computer arbeiten möchte, um die Miete für das Kunstwerk aufzubringen, werden auch die Blaumänner arbeiten. Ohne Zweifel soll ich den Dreck wegräumen, den sie hinterlassen, und nur aus diesem Grund werden sie den Computer k.o. schlagen. Finsterstes Patriarchat. Deswegen habe ich etwas gegen Objektkunst – da hilft es auch nichts, wenn es jetzt immer „Christo UND Jeanne-Claude“ heißt. Jeanne-Claude muß keine Eimer voller Künstlerdreck runtertragen, ich aber, die ich keine Künstlerin, sondern nur eine kleine Hauerin im Medienbergwerk bin, muß es wohl. Da hilft nur eines: sich vorher abseilen. Anke Westphal
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