Sanssouci
: Vorschlag

■ Handwerk, Laien, Kunst: Eine Ausstellung in der VHS Kreuzberg

Die Radierwerkstatt in Kreuzberg zieht künstlerischen Nachwuchs heran. Das zeigt ihre Ausstellung im Volkshochschulgebäude an der Friedrichstraße. Viele derjenigen, die hier vor Jahren als Laien begannen, haben das Stadium des bloßen Ausprobierens längst hinter sich gelassen. Souverän bedienen sie sich der verschiedensten Techniken: Strichätzungen hängen neben Zuckertusche, Aquatinta neben Kaltnadel, Roulette oder Mezzotinto. Technische Vielfalt und Ideenreichtum gehen bei diesen manuellen Tiefdruckverfahren Hand in Hand.

Annette Jensens winzige Strichmännchen zum Beispiel hüpfen munter durch die schief angeordneten Wohnhausausschnitte. Ein Männlein steht mit einem Blumenstrauß vor der Tür. Das andere schläft. Ein weiteres steigt gerade die Treppen hoch – ein Mikrokosmos, in Rechtecke zerlegt. Erst ins rötliche Metall geätzt, dann auf Bütten gedruckt, wiederholt sich das Motiv der Massierung in der länglichen Form. Dutzende von Haus- und Zirkustieren stapeln sich im Hochformat übereinander. Oder sie kippt den schlitzartigen Bildausschnitt und holt einen Autostau auf der Straße wie unter der Lupe hervor. Winzige Details erlangen übergroße Bedeutung.

Radierungen eignen sich hervorragend für Kinderbuchillustrationen. In der Erzählung „Mondnacht“ von Reinhild Paul erleben Uschi und Flitzi bei Vollmond ihre Abenteuer. Die Mexikanerin Angelica Chio kam auf eine andere Idee: Sie gestaltete ein traditionelles Kartenspiel aus ihrem Heimatland. Während „Los amantes“, die Liebenden, verträumt auf der Mondsichel schaukeln, heben sich „Los danzantes“, die Tanzenden, scherenschnittartig vor einem Gartentor ab. Der große Fisch mit der weißen Sichelflosse liegt hilflos auf seinem Platz. Um ihn herum scheinen die Häuser zu versinken. Nur ein Krebs nimmt auf der Karte „El pescado“ Anteil an seinem Leid.

Der kleine Prinz, die Bremer Stadtmusikanten, bunte Unterwassermännchen oder auch nur Musikinstrumente oder Werkzeuge: der Horizont der Radierwerkstatt ist weit gespannt. Sie schlägt wie keine andere Berliner Einrichtung eine Brücke zwischen Handwerk und Laienkunst. Doch im VHS-Gebäude herrscht akuter Raummangel. Ob das Kursprogramm fortgesetzt werden kann, ist ungeklärt. Anja Sieber

Bis 15. September, Mo.–Fr. 9–13 Uhr, VHS Kreuzberg, Friedrichstraße 210, III. Etage