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Mißtrauischer Blick nach Norden

Spanien in der Rolle des Interessenvertreters des Südens  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Ein Genie in Finanzsachen sei Felipe González, lobte Helmut Kohl in Cannes den spanischen Regierungschef, der sich zu Kohls Kummer gerade erfolgreich als Interessenvertreter des Südens durchgesetzt hatte. Fast neun Milliarden Mark für die Mittelmeeranrainer von Marokko bis Syrien hat Gonzáles herausgeschlagen, 22 Prozent mehr, als bisher geplant. Kohl wäre es lieber gewesen, mehr Geld in die Länder Mittel- und Osteuropas zu investieren.

Der Sieg in Cannes, ein gelungenes Vorspiel für die gerade beginnende spanische EU-Präsidentschaft, ist mehr als symbolisch. Die Gelder ermöglichen ein erfolgreiches Arbeiten der für November in Barcelona angesetzten Mittelmeerkonferenz. Der Krisenherd Maghreb, von den Nordeuropäern gern vergessen, liegt auf Sichtweite vor der Iberischen Halbinsel. Marokko ist der Hauptpfeiler der spanischen Diplomatie. Wer kann die illegale Einwanderung über die Meerenge von Gibraltar besser stoppen als Rabbat? Mit Entwicklungs- und Militärhilfe versichert sich Madrid der Hilfe von König Hassan II und will sich dabei nun von der EU unterstützen lassen. Daß dieser mit dem Kriegsgerät die um Unabhängigkeit ringende Westsahara bedroht, interessiert nur einige wenige Oppositionspolitiker. Und die Verhandlungen über die Fischereirechte vor Marokkos Küste lassen sich durch die Finanzspritzen aus Brüssel sicher auch beschleunigen.

Die von Bonn vorangetriebene Osterweiterung der EU wird in Spanien skeptisch verfolgt. Das Land zählt derzeit zu den ärmeren Mitgliedern und bekommt deshalb jährlich Milliarden aus dem „Kohäsionsfonds“. Wenn die EU mit Polen oder Ungarn noch ärmere Länder aufnimmt, muß Spanien um diese Zuschüsse fürchten. Zudem könnten der Ostorientierung der EU auch die Beziehungen mit Lateinamerika zum Opfer fallen, sorgt sich Madrid. Die einstigen Kolonien Spaniens würden dann wieder in die Arme der USA getrieben, aus denen sie sich gerade durch wirtschaftliche Kontakte mit dem alten Kontinent mühsam zu lösen versuchen.

González will seinen Gestaltungsspielraum nutzen und die Ostpolitik der EU durch eine Südpolitik ergänzen. Dabei hilft ihm Carlos Westendorp, Staatssekretär im spanischen Außenministerium und Vorsitzender der Reflexionsgruppe, die bis zur Regierungskonferenz 1996 die Reform des Maastrichter Vertrages für ein mögliches Europa der 27 vorbereiten soll. Westendorps Ziel: eine für alle verpflichtende neue EU- Struktur und nicht eine Sammlung von Einzelverträgen, denen sich die Länder je nach Bedarf anschließen: „Die EU verkäme so zu einer Art Schweizer Käse mit mehr Löchern als Inhalten.“

Dabei hat Westendorp Europol und Schengen im Auge, zwei Abkommen von größter Wichtigkeit für Spanien. Zum einen hofft Madrid so der baskischen ETA, die von Frankreich aus operiert, den Garaus zu machen. Zum anderen würde man gerne den Drogen- und Tabakschmuggel und die Geldwäscherei in der britischen Kronkolonie Gibraltar in den Griff bekommen. Doch London unterzeichnete bisher weder Europol noch Schengen. Um zu verhindern, daß der Süden durch den Norden, die Kleinen durch die Großen überrollt werden, wacht Spanien mit Argusaugen über die Regelung der Ratsabstimmungen und stellt sich gegen die allgemeine Ausweitung des Mehrheitsprinzips, wie sie von den Benelux-Ländern und Deutschland vorgeschlagen wird. Die Frage Mehrheit oder Veto soll Thema für Thema geprüft werden, denn was für die einen belanglose Materie, ist für die anderen von größter Wichtigkeit, so Westendorp, der den Fischereistreit mit Kanada noch nicht vergessen hat.

González setzt alles daran, daß sein Land bei der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung mit von der Partie ist. Für 1996 hat er einen Sparhaushalt angekündigt, um das Budgetdefizit von bisher 6,7 auf die geforderten 3 Prozent zurechtzustutzen. Damit wäre wenigstens eine der Bedingungen erfüllt. Insgeheim hofft man in Spanien auf eine Änderung der Beitrittsbedingungen.

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