: Pfarrer entwaffnet Sheriff
Ein ganzes Dorf von Waffennarren auf der Schwäbischen Alb, Revolver in der Jauchegrube, ein listiger Staatsanwalt und ein verschwiegener Pfarrer ■ Aus Stetten Klaus Wittmann
Stetten am kalten Arsch heißt der kleine Ort auf der Schwäbischen Alb im Volksmund. So sagen auch die Soldaten, wenn sie zu Schießübungen auf den nahen Truppenübungsplatz abkommandiert werden. Weil es verdammt kalt werden kann hier oben. Soldaten hat es hier schon immer gegeben, und wo Soldaten sind, da sind auch Waffen.
In Stetten am kalten Markt, wie der Ort ganz offiziell heißt, brütet dieser Tage die Sommerhitze nicht weniger als anderswo, und nicht weniger träge schlummert auch das Nachbardorf Fronstetten vor sich hin. Um die Mittagszeit läßt sich kaum jemand auf den Straßen blicken. Wenn doch, so sucht man vor dem Reporter schnell das Weite. „I woiß nix“, lautet die immer gleiche Antwort, die ausnahmslos mit einem verschmitzten Grinsen untermalt wird. Keiner will etwas mitbekommen haben von diesen geheimnisvollen vierzehn Tagen, in denen das Pfarrhaus die Anlaufstelle für so manchen reuigen Sünder war.
Im Juli vergangenen Jahres hatte alles angefangen. Bei einer Großrazzia an 51 Orten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz stießen die Fahnder auf Berge von Waffen, die ein ehemaliger französischer Berufssoldat verhökert hatte. Der 47jährige Elsässer entkam der Polizei, doch einen Teil der Kalaschnikows, Schnellfeuergewehre, Revolver, Pistolen und Munition konnten die Beamten einsammeln.
So fanden Spezialisten des Landeskriminalamts (LKA) im Rolladenkasten eines Fronstetters eine Maschinenpistole. Ihr Besitzer, den im Ort alle „Sheriff“ nennen, wurde dieser Tage in Sigmaringen zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldbuße von 30.000 Mark verurteilt. Und solche wie Sheriff gab es viele. Ein Waffennarr hatte fünf Maschinenpistolen, fünf Gewehre, vier Pistolen und Revolver sowie Munition im betonierten Doppelboden eines Bauernhofs gebunkert. Auch auf dem Grund einer Jauchegrube und im Fischweiher lagerte Schießgerät.
Einst waren all diese Waffen unbrauchbar gemachte Deko-Stücke, mit durchbohrtem Lauf, abgesägtem Auslöser et cetera. Der französische Ex-Soldat hatte geschickt Gesetzeslücken ausgenutzt. Er besorgte sich Waffen der in Auflösung befindlichen Armeen des einstigen Warschauer Pakts, Waffenteile aus Frankreich, der Schweiz und Österreich und bastelte daraus funktionsfähige Knarren, für die er sofort Abnehmer fand.
Zwei dieser Abnehmer waren „Sheriff“ und „Tarzan“ aus Fronstetten. Waffennarren sind der Elektriker und der Zimmermann seit eh und je, aber, wie all die anderen Käufer auch, bislang unbescholtene Büger. Als später Polizei, Staatsanwaltschaft und LKA Bilanz zogen und die beschlagnahmten Bestell- und Lieferscheine des getürmten Franzosen mit den sichergestellten Waffen verglichen, staunten sie nicht schlecht. Über hundert Gewehre, MPs und Revolver und jede Menge Munition fehlten. Es folgte eine großangelegte Telefonüberwachung. Mehrfach erschienen Männer vom LKA in Stetten und Fronstetten – und dann landeten einige der „braven Bürger“ in Untersuchungshaft. Einen von ihnen klopften die Vernehmer im Knast offenbar weich. Jedenfalls erfuhren sie, daß der Mann die meisten Gewehre an seine geschätzten Mitbürger weiterverhökert hatte. Nun wollte die Staatsanwaltschaft an diese Waffen herankommen. Doch Sheriff mochte seine Abnehmer nicht verpfeifen.
„Ich wollte weniger diese Endabnehmer bestrafen, mein primäres Interesse war es vielmehr, die Waffen wiederzubekommen“, sagt der ermittelnde Staatsanwalt Horst Jung aus Hechingen. Doch wie vorgehen? Die Idee von Sheriffs Anwalt, daß die Erwerber bei ihm die Knarren abgeben und er sie dann ans LKA weiterleiten könnte, scheiterte an der Rechtslage. Der Anwalt konnte nur für seinen Mandanten eine Schweigepflicht und somit ein Zeugnisverweigerungsrecht beanspruchen. Wären aber bei ihm Waffen abgeliefert worden, hätte er gerichtlich zur Aussage gezwungen werden können und sogar müssen.
Da schlug die Stunde des Pfarrers! Der listige Staatsanwalt erinnerte sich des strenggeschützten Beichtgeheimnisses und machte einen Plan.
Und was genau hat sich dann abgespielt in den beiden Dörfern Fronstetten und Stetten am kalten Markt auf der Schwäbischen Alb?
„Ich sag' nichts! Fragen Sie doch die Dorfvorsteherin!“ sagt die Wirtin eines der drei Wirtshäuser von Fronstetten. Am Stammtisch grinst ein Alter übers ganze Gesicht. „Wissed Se. Wenn mir was wüßten, täte mir Ihne des gewiß net sagen.“ Geschwätzt hätte man viel am Ort, erzählt eine Frau, die sich für den Geschmack des Alten zu weit vorwagt. „Es war halt 'ne richtige Nacht-und-Nebel-Aktion.“ Das ist dann immer wieder zu hören: eine richtige Nacht-und- Nebel-Aktion. – „Ha ja, ma sagt halt, der Pfarrer hätt' die Waffen alle wieder eingesammelt“, erzählt der junge Mann im Sägewerk. „Aber da müssen Sie ihn schon selber fragen.“ Gleiches ist von der Dorfvorsteherin zu hören, die schon über unser Auftauchen informiert ist. „Ich hab' schon gehört, daß Sie kommen. Aber ich sag nix!“ – Der Pfarrer möchte am liebsten auch nichts sagen. „Beichtgeheimnis“, sagt er. Aber dann läßt er durchblicken, daß es schon recht turbulent zugegangen sei – nachts im Pfarrhaus mit den grünen Fensterläden, in der Pfarrgasse 1 zu Stetten.
Mit ihm, mit dem katholischen Pfarrer Lothar Wiest (58), will sich in Stetten keiner anlegen. Sechsundzwanzig Jahre hat der 1,85 Meter große Zweizentnermann seine Schäfchen nun schon recht gut im Griff. „Der ist a Roter, aber der läßt sich nichts gefallen. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen“, erzählt die Frau in der Metzgerei.
„Der weiß schon, wie er mit den Leuten umgehen muß“, berichten sie über den für die Gegend ungewöhnlichen, manchmal recht mürrischen Geistlichen, der ein kleines Genie am Computer sein soll, der gelegentlich mit seinen Pfarrbriefen für Aufsehen sorgt und der, in unmittelbarer Nähe zum Truppenübungsplatz, Wehrdienstverweigerer als Zivis im Pfarrhof beschäftigt.
Die Dame in der Metzgerei verteidigt – wie alle im Dorf – Sheriff und Tarzan und all die anderen Waffenliebhaber. „Des sind ordentliche Leut'! Anders als die Asylanten, draußen am Ortsrand. Die sind doch die einzigen, vor denen man Angst haben muß.“ Was denn ein braver Fronstetter Bürger mit einer Kalaschnikow oder einem Sturmgewehr wolle? Die Nachfrage kontert die resolute Dame mit den Worten: „Ja mei, die sammeln halt das Zeug, die wollen doch nix Böses.“ Ihr Mann sammle schließlich auch Waffen. Nein, er habe trotzdem damals keine gekauft.
Ob sie mitbekommen habe, was sich beim Pfarrhaus abgespielt hat? Natürlich nicht, schließlich seien die Waffen ja nicht in Fronstetten, sondern im Pfarrhaus von Stetten abgegeben worden. Nur einmal, da habe das LKA einen jungen Mann aus der Nachbarschaft abgeholt. „Der ist aber sicher kein Verbrecher!“
Die Frage, was so viele unbescholtene Bürger mit so vielen scharfen Kriegswaffen anstellen, ist damit freilich nicht geklärt. Darüber wird oben auf der Alb, beim LKA und bei der Staatsanwaltschaft noch immer gerätselt. Ist es die Nähe zum Übungsplatz, der alltägliche Umgang mit Gewehren? Oder sind das alles wirklich nur Waffennarren? „Also die, die wir erwischt haben, sind alles biedere, brave Leute gewesen, mit einer kindlichen Freude am Schießeisen“, berichtet Staatsanwalt Jung.
Einer, erinnert sich der einfallsreiche Ermittler, der schon seit 1971 Waffendelikten nachgeht, habe glänzende Augen bekommen bei der Frage, warum er sich nicht mit den Deko-Waffen begnügt, warum er scharfe Waffen gekauft habe. „Der hat mir erzählt, das sei doch eine Sünde, ein Sakrileg, solch schöne Gewehre so zu verunstalten.“ Aus den ganzen sichergestellten Waffen sei kaum geschossen worden. „Da haben einige einfach einen totalen Schuß unter der Mütze!“
„Die einzige Möglichkeit, die Waffen loszuwerden“, erinnert sich Jung an seinen damaligen Gedankenblitz, „war, sie unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses dem Pfarrer anzuvertrauen.“ Und so wandte er sich an den Ortsgeistlichen.
„Der arme Pfarrer Wiest in Stetten war ganz schön gernervt, als seine braven, harmlosen Schäfchen da wohlgerüstet bei Nacht und Nebel bei ihm angerückt sind.“ Zwei Wochen lang, vielleicht auch ein wenig länger, ging das so, schmunzelt der Ermittler. Mit hochgekrempeltem Kragen, die Kalaschnikow, das Sturmgewehr, den 45er Colt in eine Decke eingeschlagen, schlichen düstere Gestalten durch Stetten, immer ein Ziel vor Augen: das Pfarrhaus gegenüber der „gelben Kirche“. Das Gotteshaus der katholischen Pfarrei St. Mauritius ist nämlich gelb, die evangelische Kirche blau.
Im Halbstundenturnus kreuzten die heimlichen Waffennarren beim Pfarrer auf, der in dieser Zeit nicht so recht seinen Schlaf finden konnte. Nach und nach wuchs das Waffendepot, von dem Hochwürden nicht sagen will, wo es genau war, ob im Pfarrhaus oder drüben in der Sakristei. Der Herr Pfarrer staunte nicht schlecht, was da so alles zusammenkam. „Der ist ziemlich ausgerastet. Ob er denen 'ne richtig harsche Predigt hinterher gehalten hat – ich weiß es nicht, könnte es mir aber lebhaft vorstellen“, merkt der Staatsanwalt an. „Der Pfarrer war ziemlich froh, als wir dann mit einem größeren Fahrzeug raufgefahren sind und das ganze Zeug abgeholt haben.“ Mit zwei Transporten wurden die Waffen nach Stuttgart gebracht.
So half der Pfarrer dem Staatsanwalt und redete nicht drüber. Ein Großteil der Waffen ist seither sichergestellt, nur vereinzelte Stücke fehlen noch.
Dem französischen Urheber der Waffenlieferungen seine Manipulationen nachzuweisen war ein leichtes, denn er hatte seine ganz eigene „Handschrift“ beim Umbau der Gewehre und Revolver. Ob der Mann jemals vor Gericht stehen wird, das steht freilich in den Sternen. Per internationalen Haftbefehl gesucht, bislang nicht gefunden, so lautet die Auskunft.
Doch mindestens zwei der Zwischenhändler müssen sich in den nächsten Wochen noch vor dem Amtsgericht Sigmaringen verantworten, ähnlich wie vor ihnen der Sheriff von Fronstetten. Bislang wurden sechsundzwanzig Männer in der Bundesrepublik gerichtlich belangt.
Im Pfarrhaus aber ist wieder Ruhe eingekehrt, und Hochwürden kann getrost – nach seinem Sommerurlaub – ins benachbarte Sigmaringendorf zur Freilichtbühne fahren. Dort geben sie zur Zeit, ganz zufällig, „Don Camillo und Peppone“.
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