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'Die Kartoffeln rollen wieder'

■ Wie sich Frau Birkner mithilfe der Presse die ihr zustehende Sozialhilfe erkämpfte

Als Bärbel Birkner aus Berne bei Blumenthal am Dienstag die taz anrief, war sie völlig verzweifelt: Mitte Mai wurde ihr Mann arbeitslos, doch das Arbeitsamt stellt das erste Arbeitslosengeld erst für August in Aussicht. Das Sozialamt aber, berichtete die 51jährige, habe Übergangsgeld nur bis zum 15.7. bewilligt und verweigere nun weitere Zahlungen. „Ich habe jetzt noch 20 Mark. Wie sollen wir denn die nächsten Wochen davon leben? Ich kann ja nicht mal Brot kaufen."

Nein, das schafft nicht mal Bärbel Birkner, die gewohnt ist, mit wenig Geld zu wirtschaften. Sieben Kinder hat sie großgezogen, den kranken Schwiegervater bis zu seinem Tod gepflegt. „Wissen Sie was, das können höchstens fünf Frauen erlebt haben", sagt sie nicht ohne Stolz. Ihr Mann, Bernd Birkner (57), hatte zuletzt eine ABM-Stelle als Hausmeistergehilfe beim Sozialamt in Oldenburg.

Weil sein Gehalt kaum zum Leben reichte, suchte sich die Familie eine billigere Wohnung in Berne. Und vergab damit die letzte Chance, daß Bernd Birkner die ABM-Stelle halten konnte, denn jetzt war er kein Oldenburger mehr. „Das wußten wir doch nicht", bedauert Bärbel Birkner, und wie zum Trost ergänzt ihr Mann: „Die hätten mich sowieso nicht behalten. Die haben doch gesagt, daß sie nur noch Jüngere bis maximal 35 Jahre suchen."

Im Mai, nachdem der Mann arbeitslos geworden war, holten die Birkners die Mutter der Ehefrau aus dem Pflegeheim. „Jetzt können wir uns doch um sie kümmern", sagt die Tochter, nichtsahnend, daß die 800 Mark Rente der Mutter bei den anstehenden Berechnungen des Sozialamtes mit einbezogen würden. Der Satz, von dem die Birkners seit dem Mai leben mußten, war dementsprechend gering: „Im Mai haben wir einmal 300 Mark bekommen", rechnet Frau Birkner vor, „im Juni 468 Mark und im Juli 470 Mark".

Am Freitag war Bernd Birkner beim Sozialamt. Man riet ihm, eine billigere Wohnung und eine Arbeit zu suchen. Die Zahlungen des Sozialamtes seien jedenfalls ein für allemal abgeschlossen. Im übrigen habe seine Frau weitere Zahlungen abgelehnt, weil das Darlehen des Sozialamtes durch die Übernahme von drei Monatsmieten ohnehin schon hoch sei

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Diese Version hätte beinahe zu einem Riesenehekrach geführt, doch Bernd Birkner glaubt eher seiner Frau als dem Sozi. Denn am Montag teilte ihm das Arbeitsamt mit, daß es dem Sozialamt das Arbeitslosengeld bis zum 31.7. überwiesen hatte. „Das Sozialamt hat aber nur bis zum 15. bezahlt. Die haben das ganze Geld einfach behalten, wegen des Darlehens für die Miete", vermutet Bernd Birkner. „Aber wovon sollen wir denn leben? Ich bin doch auch nur ein Mensch und brauch was zu essen. Und ich weiß von Oldenburg, daß man solche Darlehen in kleinen Raten beim Sozialamt abzahlen kann."

Bernd Birkner suchte am Montag nochmals das Sozialamt auf: „Ich habe regelrecht gebettelt, damit sie mir wenigstens ein bißchen was geben", sagt er, „aber die haben mir nicht mal 100 Mark gegeben". Daraufhin beschloß seine Frau, sich an die Presse zu wenden. Nicht zum ersten Mal: Als das Sozialamt sich im Mai weigerte, die Mietzahlungen zu übernehmen, und der Vermieter bereits mit Rausschmiß gedroht hatte, schaltete Frau Birkner die BILD-Zeitung ein. Kurz darauf bewilligte das Sozialamt das Mietdarlehen.

Das Darlehen sei auch ohne den Druck der Presse gezahlt worden, versichert Herr Schierenstedt, Sachbearbeiter beim Sozialamt Berne, als Frau Birkner und die taz-Redakteurin ihn aufsuchen. Erstaunlich für diese: Nach Vorlage des Presseausweises ist eine weitere Überbrückungsrate für Frau Birkner kein Problem mehr. Dieser stehe noch die Summe von 473,50 Mark zu, gab der Sachbearbeiter zu, doch weder Herr noch Frau Birkner hätten bislang Geld verlangt.

Frau Birkner nahm die problemlos ausgestellte Geldanweisung entgegen und unterdückte ihren Wutanfall. „Glauben Sie etwa, was der sagt", fragte sie später auf dem Flur. Doch ihr Erstaunen über das Verhalten des Sachbearbeiters überstieg den Ärger: „So freundlich war der noch nie! Ich allein hätte das Geld niemals gekriegt. Aber so wie mir geht es leider ganz vielen."

Nachdem Frau Birkner das Sozialamt verlassen hat, weint sie vor Freude. Ihr erster Weg führte sie anschließend zum Einkaufen. „Ich hatte doch nur noch sieben Mark. Aber jetzt rollen die Kartoffeln wieder." Dora Hartmann

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