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Bravo, so oder so

■ Bekenntnisse eines Tiefstaplers: Schlager mit Herrwerth

Als Easy-listening noch nicht zum Trend ausgelobt war, dem niemand sich wirklich glücklich zu folgen traut, damals, so in den Sechzigern, lebte Thommi Herrwerth. Heute wirkt er als Buchhändler in Mannheim. Die Rolling Stones sind ihm ein Greuel, die anderen Hipsters der heterosexuellen Popkultur ebenso. Gus Backus, so bekennt er im „Vorab“ seines Buches „Itsy Bitsy Teene Weenie“, „war die erste große Liebe meines Lebens“.

Überhaupt handelt das Buch, das im Untertitel noch sachlich als „Die Hits der Sixties“ annonciert wird, von Liebe und anderen Herzensaufwallungen. Wissenschaftlich darf von diesem Kompendium nur erwartet werden, daß hier einer schamlos berichtet, wie er dazu kommen konnte, Schlager zu hören und doch nicht zum Blauen Bock zu werden. Insofern gehört die plauderhafte Erzählung zum besten Stoff seit langem, das einer der Oral-history zugeneigten Forscherrichtung über den Schreibtisch kommen konnte.

Herrwerth schafft spielend, Rex Gildo, Siw Malmqvist, Renate Kern und all die andern Stars und Sternchen einer verschütteten Epoche lebendig zu schreiben: Sichtbar wird, wie wichtig einst diese gefönten und gesprayten Figuren waren, so etwas wie heiteren Fortschrittsglauben an das Gute in der Gesellschaft zu befördern. „Nur die Liebe läßt uns leben“ (Mary Roos) war womöglich wirklich die stimmigste Hymne auf die 68er, mehr gewiß als Janis Joplins Jammertiraden.

Anders formuliert: Solange Steins Großer Kulturfahrplan Cornelia Froboess erstmals 1967 als Darstellerin in dem Kinofilm „Rheinsberg“ erwähnt, als habe sie nicht echte (Alltags-)Kulturqualitäten anderthalb Jahrzehnte zuvor mit „Pack die Badehose ein“ bewiesen oder wäre nicht kurz darauf sogar zum ersten Girl der Republik („Diana“) avanciert, solange braucht's Literatur wie die des Mannheimer Schlagerfreundes – ein Memo wider den guten Geschmack, den eh keiner ohne Balanceübungen leben kann.

Dennoch sind manche Stellen so langweilig wie Coming-out- Beichten von Junghomos: Irgendwie gleichen sich die Erzählungen am Ende doch, so wichtig sie den Bekennern auch sind. Nächstens also möchten wir mal lesen, was es mit der Bürger- und Bildungskinderkultur nun auf sich hat, so streng wissenschaftlich wie undünkelhaft. Daß das gelingen könnte, liegt auch an Autoren wie Thommi Herrwerth: Unbeirrt hält er daran fest, das Unwichtige für wichtig zu nehmen — allen bedenkenträgerischen Rufen („Was, du hörst Schlager? Wir sind progressiv, also hören wir Frank Zappa“) zum Trotz. Das Buch deutet auf ein munteres Verhältnis zu sich selbst hin: Bravo, so oder so. Jan Feddersen

Thommi Herrwerth: Itsy Bitsy Teene Weenie“. Jonas Verlag, Marburg 1995, 126 Seiten, 28 DM

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