■ Die Wahlen zum japanischen Oberhaus
: Umwälzung ohne politisches Konzept

Auf ebenso eindrucksvolle wie ernüchternde Art und Weise haben die gestrigen Wahlen zum Tokioter Oberhaus den unaufhaltsamen Umwälzungsprozeß in der japanischen Politik fortgesetzt. Die Liberaldemokraten sind mehr denn je unfähig, ihre absolute Mehrheit zurückzugewinnen. Ihrem heutigen Koalitionspartner in der Regierung geht es noch schlechter: Für die Sozialdemokraten und ihren Premierminister Tomiichi Murayama könnte das gestrige Wahlergebnis sogar einem Todesstoß gleichkommen. Ihr Absturz birgt einen historischen Wandel: Diese Partei hatte vierzig Jahre lang die Positionen einer stolzen japanischen Linken vertreten, die sich auf eine starke Friedensbewegung und gut organisierte Gewerkschaftskräfte stützte. Kaum etwas davon ist heute auf der politischen Bühne übriggeblieben.

Wenn es einen Sieger bei den gestrigen Wahlen gab, dann war es die erst vor sieben Monaten neugegründete Neue Fortschrittspartei (NFP). In Wirklichkeit versteckt sich hinter diesem willkürlichen Zusammenschluß von neun ehemaligen Oppositionsparteien, die bis vor kurzem nicht viel mehr als ihre Gegnerschaft zu den Liberaldemokraten verband, immer noch ein heterogener Haufen aus liberaldemokratischen Dissidenten, buddhistischen Pazifisten und moderaten Gewerkschaftern. Ihren Wahlerfolg verdankt die NFP denn auch weniger einem klaren Wahlprogramm als einer guten Wahlkampforganisation, für die ausgerechnet der alte Champion der Liberaldemokraten, Ichiro Ozawa, verantwortlich zeichnete.

Als Generalsekretär der NFP verkörpert Ozawa freilich auch heute noch den alten, anrüchigen Politikstil der liberaldemokratischen Ära. Genau daran sind Japans politische Reformen seit dem Sturz der Liberaldemokraten vor zwei Jahren nämlich gescheitert: Zwar gibt es ein neues Wahlgesetz und neue Parteien, aber der politische Stil hat sich wenig geändert. Gerade der zurückliegende Wahlkampf belegt, wie jede nationale politische Debatte von den Parteien derzeit ausgeklammert wird, obwohl sich das Land in der schwersten Rezession seit Kriegsende befindet.

So ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer japanischen Parlamentswahl verzeichnet wurde, das vielleicht wichtigste Ergebnis. Japan bewegt sich in Sachen Wählerapathie auf amerikanische Verhältnisse zu. Gerade das zeigt, wie gefährdet der japanische Umwälzungsprozeß noch immer ist. Noch immer fehlen demokratische Parteiorganisationen, die eine echte Bürgerbeteiligung erlauben. Zwar zeigen sich bisher noch keine Extremisten an den Rändern – doch die derzeitige Situation in Japan lädt zum Sturm auf das politische System geradezu ein. Georg Blume