: Die Nato könnte helfen
Žepa wurde von der UNO bereits aufgegeben, doch die Menschen dort kämpfen weiter ■ Aus Vitez Erich Rathfelder
Lange Kolonnen von Panzern, Lastwagen und Artillerie haben sich am Sonntag nachmittag von der britischen Basis in Vitez in Richtung Sarajevo in Bewegung gesetzt. Nach dem Artillerieüberfall auf einen französischen UNO- Konvoi am Berg Igman in der Nacht zum Sonntag haben die britischen Truppen den Befehl erhalten, die UN-Truppen in der bosnischen Hauptstadt zu unterstützen. Eine Erlaubnis für die Stationierung der Truppen auf dem Berg Igman von serbischer Seite werde nicht eingeholt, erklärte der Sprecher der britischen Streitkräfte, Colonel Jeff Cook. Verhandelt würde nur mehr mit der bosniakisch-kroatischen Föderation. Cook führte diesen Umstand, der das Mandat der UNO-Truppen in Bosnien-Herzegowina praktisch verändert, auf die Ergebnisse der Londoner Konferenz zurück. Ob die Truppen jedoch einen Auftrag zum Kampfeinsatz erhalten, war am Sonntag nachmittag noch unklar. Unterdessen gehen die Angriffe der serbischen Truppen auf die Enklave Žepa weiter.
„Wir bitten um sofortige Luftangriffe der Nato auf die serbischen Stellungen“, ist die wiederkehrende Botschaft aus Žepa, die über Funk aus der belagerten Enklave kommt. Kein Haus sei mehr unbeschädigt in dem Talkessel, in dem die drei Dörfer der UN- Schutzzone liegen. Die serbische Artillerie schieße immer wieder auf die Ruinen, in denen die Zivilbevölkerung nach wie vor Deckung sucht. Die den Talkessel umgebenden Berge würden jedoch von den Verteidigern gehalten.
Aufbau von Flüchtlingslagern in Zenica
„Wir werden Žepa weiter verteidigen, so gut es geht, wir wissen nicht, wie lange wir dies noch können“, sagte der bosnische Präsident Alija Izetbegović am Samstag nachmittag in die Mikrophone der Journalisten. Der Präsident Bosniens hatte in der zentralbosnischen Industriestadt Zenica Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Demirel geführt. Demirel protestierte dabei gegen die laxe Haltung der UNO und der westlichen Verteidigungsgemeinschaft. Offenbar hat er Izetbegović eine stärkere Unterstützung der Türkei als bisher versprochen. Sicher ist, daß während dieses Besuches auch über Waffenlieferungen an die Bosnier diskutiert wurde.
Über die Ergebnisse der Londoner Konferenz äußerte sich Izetbegović äußerst zurückhaltend. „Ich bin über diese Ergebnisse nicht enttäuscht, denn wir hatten nichts von dieser Konferenz erwartet. Insoweit übertreffen die Beschlüsse unsere Erwartungen.“ Dagegen quittierten Mitglieder seiner Delegation die Botschaft aus London, nichts für die Verteidigung Žepas zu tun, nur mit Kopfschütteln. „Žepa hält — entgegen den ständigen Beteuerungen Yasushi Akashis, es würde fallen — stand, die Nato könnte jederzeit mit ihren Flugzeugen die serbischen Artilleriestellungen angreifen und ausschalten“, erklärt der Bürgermeister von Zenica, Besim Spahić.
Auch Militärs sind dieser Meinung. Major Albyrak vom türkischen Bataillon der Unprofor- Truppen in Zenica sieht die Lage um Žepa sogar als günstig für Luftangriffe der Nato an. „Die Verteidiger haben starke Stellungen in den Bergen. Es geht also um die Ausschaltung von serbischen Artilleriestellungen, die über diese Berge hinweg in das Tal schießen. Es geht auch um die Versorgung der Enklave aus der Luft. Das könnte die Nato von ihren Möglichkeiten her sofort leisten. Das Problem ist also ein politisches.“
„Es fehlt offenbar der politische Wille“, erklärt auch der deutsche Botschafter in Bosnien-Herzegowina, Hans Preisinger. Von seiner Warte aus empfinde er die Londoner Erklärung, nach der zwar Goražde nicht aber Žepa mit Nato- Luftunterstützung verteidigt werden soll, als unverständlich.
Trotz des Willens der bosnischen Regierung, Žepa weiter zu verteidigen, werden Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtlingen in Turnhallen und Schulen getroffen. Der Wohnraum jeder Familie wird festgestellt und schon jetzt ein Schlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen durch die Privathaushalte erarbeitet. Das türkische Bataillon in Zenica hat eine Zeltstadt vorbereitet, die 500 Menschen aufnehmen kann. Auf der Pressekonferenz bat Izetbegović die Welt um weitere Hilfe. Er schlägt vor, daß jedes Land, das Unterstützung leisten möchte, ein Flüchtlingsdorf aufbaut. „So könnte es ein pakistanisches, ein deutsches, ein schweizerisches Dorf geben.“
Auch in Kroatien erhöhen sich die militärischen Aktivitäten. Kroatische Offiziere haben zu erkennen gegeben, daß die Hauptstadt der serbisch kontrollierten Krajina, Knin, bald erobert werden könnte. Wasser auf die Mühlen solcher Aussagen sind die Versprechungen, die der kroatische Präsident Tudjman in der Nacht zum Sonntag Alija Izetbegović bei einem Treffen in der Adriastadt Split gegeben hat. Danach werde die kroatische Armee versuchen, die von den Serben bedrängte Enklave Bihać zu unterstützen. Die wirkungsvollste Unterstützung wäre nach Ansicht von Militärbeobachtern jedoch ein kroatischer Angriff auf Knin. Seit die kroatischen Truppen östlich der Krajina- Hauptstadt ihre Positionen festigen konnten, ist Knin militärisch praktisch eingekesselt.
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