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"Blavatzkys Kinder" - Teil 9 (Krimi)

Teil 9

Aber Deger wollte noch mehr. Gates Einstellung gegenüber „Rassen“, deren Existenz er unbeirrbar unterstellte, war ihm zu simpel. Gates nannte Schwarze „Nigger“, und er wies ihnen klar die Positionen zu, die sie seiner Meinung nach einzunehmen hatten. Deger war da viel systematischer.

Er glaubte fest an eine bestimmte Ordnung. Es gab nicht nur klare Rangfolgen der Hauptrassen, nein, auch innerhalb dieser Gruppen mußte weiter unterschieden werden. Die weiße arische Rasse war allen anderen überlegen: Aber nach Degers Überzeugung existierte in ihr noch eine Hierarchie, an deren Spitze die Germanen standen. Aber es wäre nicht klug gewesen, Gates diese Überlegung allzu offen wissen zu lassen.

Degers Dogma von der Existenz von Rassen und von rassischer Überlegenheit erklärte die Zusammensetzung seiner Organisation in Deutschland und in Europa. Den deutschen militärischen Verbänden der Organisation gehörten inzwischen Tausende von germanischen Kämpfern an. Einige Einheiten hielten gegenwärtig Manöver mit befreundeten Einheiten in Belgien ab.

Leider waren Manöver in Deutschland mancherorts schwierig durchzuführen – gelegentlich konnten die Behörden lästig werden. Verhindern konnten sie nichts, und das wollten sie auch gar nicht. Schließlich hatte die Organisation Freunde in hohen Partei- und Staatsämtern, und die Spenden aus der Industrie flossen üppig. Wie hätten sie sonst die Waffen bezahlen sollen? Andere Einheiten der Organisation trainierten seit längerem in Kroatien. Diese militärische Auseinandersetzung war einige Jahre vorbereitet worden. Niemand hatte die Waffenlieferungen aus Deutschland und Osteuropa an den Grenzen nach Jugoslawien aufgehalten. Schließlich hatte nicht nur die Organisation ein Interesse daran, daß Jugoslawien zerbrach.

* * *

Die Bar lag im Keller des Hotels, ein paar dunkle Stufen hinunter, ein Raum mit langer Theke, gepolsterten Hockern, acht oder neun plüschige Sitzecken mit kleinen Sesseln und Nierentischen. Eine häßliche dunkelgrün-gold gemusterte Tapete. Dunkelrote Leuchter verstreuten schummriges Licht.

Der Barmann, mittelgroß, mittelschwer, mittelbraun und mittelalt, schaute kurz auf, erwiderte freundlich ihren Gruß und beschäftigte sich weiter mit seinen Gläsern, die er sorgfältig trocknete und ab und an prüfend gegen das trübe Licht hielt. Miriam ging zur Theke. der Barmann stellte seine Gläser in ein Regal und legte eine neue Musikkassette in einen zweitklassigen Hi-Fi-Turm. Miriam erwartete das Schlimmste. Entweder Claydermans widerlichen Schleim für Supermarktzombies oder Sinatras Altherrenschnulze „New York, New York“.

Sittin' in the morning sun, I'll be sittin' when the evening comes, watchin' the ships they're all in ... I'm sittin' on the dock of the bay watchin' the time rollin' away. I'm sittin' on the dock of the bay, wasting time ...

Otis Redding. Ein bißchen altmodisch, aber schön. Sie lächelte den Barmann an. Der lächelte zurück und nickte, als könnte er Gedanken lesen.

Miriam setzte sich in die äußerste Ecke und trank süßen Tokaier. Das Zeug hatte sie noch nie gemocht. Sie entspannte sich und ließ die Blicke schweifen. Die klassische Klientel für diese Art Hotels: etwa ein Dutzend Männer im Geschäftsleute-Look, die üblichen Anzüge und das übliche Gehabe.

An der Bar saßen zwei kräftig geschminkte Frauen. Die Augenbrauen waren zu steil hochgezogenen, zu schmalen Linien gezupft. Dicke Lagen von Make-up und Puder verschärften den Eindruck von Masken. Ihre Lider schmückte metallisch schimmerndes Hellblau und Türkis. Die beiden schienen ihre Augen nur mit Mühe offenhalten zu können. Schwer drückten schwarze Balken und dichte Reihen künstlicher Wimpern auf die Lider. Vielleicht gibt es solche Masken fertig zu kaufen, spekulierte Miriam, das würde eine Menge Zeit und Arbeit sparen. Ohren, Hals, Arme und Finger waren üppig mit falschem Gold geschmückt. Die Decolletés tief, die Brüste hochgestemmt und zusammengequetscht. Ihre Kleider waren verschiedenfarbig bunt, mit Goldfäden durchwoben, eng und kurz. Die beiden Frauen rauchten hastig, sahen sich unruhig um und schlossen Miriam mit einem raschen Kontrollblick als geschäftliche Konkurrenz aus.

Zwei ältere Paare saßen an einem runden Tisch, unterhielten sich auf englisch und spielten Karten. Hinten las jemand Zeitung.

Sie zog ihre Lederjacke aus und suchte in den Taschen nach Taschentüchern, fand Stifte, Straßenbahntickets und eine Quittung. Dann der zerknitterte Zettel. Sie ging zur Bar und zeigte ihn dem Barkeeper.

Fortsetzung folgt

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