: „Ich habe keine Erklärung dafür“
■ Eine 45jährige Frau ertrug die Alkohol-Eskapaden ihres Mannes nicht mehr und stach mit dem Rouladen-Messer zu / Beide wollen jetzt einen trockenen Neuanfang
„Auch wenn es sich vielleicht komisch anhört“, sagt Clara L. und wischt sich die Tränen ab, „aber ich liebe meinen Mann trotz allem.“ Seit gestern muß sie sich vor Gericht verantworten, weil sie im Februar versucht haben soll, ihren Mann mit einem Rouladen-Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge zu töten. Carla L. hat im nachhinein keine Erklärung für ihre Tat – außer den Alkohol, den sie getrunken hatte und bei ihrem Mann die Geschichte seines Alkoholkonsums. Mehrere Male habe sie versucht, sich von ihm zu trennen. Doch immer, wenn er mit Blumen vor der Tür gestanden oder einen Brief geschrieben hatte, habe sie sich „breitschlagen“ lassen und an eine Besserung geglaubt.
Dreizehn Jahre lang lebte Carla L. mit ihrem Mann in einem ständigen „Auf und Ab“. Als sie ihn 1982 kennenlernte, war ihr zwar aufgefallen, daß er „viel Alkohol“ trank, doch nach ihrer Enttäuschung mit ihrem ersten Mann, der ebenfalls dem Alkohol zugetan war, fand sie „alles ganz prima“. Denn Lutz L. kümmerte sich um sie und ihre Tochter – wenn er nüchtern war. Doch als er seine Arbeit als Offset- Drucker wegen einer Krankheit aufgeben und in Rente gehen mußte, trank er immer mehr. Beleidigungen und tätliche Angriffe standen auf der Tagesordnung.
Die 45jährige Verkäuferin für Modeschmuck erzählt unter Tränen, wie sehr sich Lutz L. veränderte. Der Alkohol habe aus ihrem sonst „sanftmütigen und unheimlich ehrlichen Mann“ einen „vollkommen bösen“ Menschen mit einem „vollkommen anderen Gesichtsausdruck“ gemacht. Dann sei er durch die Wohnung getobt und habe randaliert.
An jenem Sonntag im Februar, als ihr Mann schon zum Frühstück Bier trank, habe sie gleich gewußt, „na prima, das wird ja ein schöner Sonntag“. Über seinen Alkoholkonsum – „er trank mehr und mehr“ – habe sie sich maßlos geärgert. Wie so oft, wenn sie über sein Saufen wütend war, griff sie selbst zur Flasche. „Ziemlich schnell“ habe sie eine Flasche Wein getrunken. Nachdem sie eine Beruhigungstablette genommen habe, könne sie sich an nichts mehr erinnern. „Ich weiß nicht, was ich noch getrunken habe“, sagt sie. Zur Tatzeit hatte sie einen Blutalkoholgehalt von 2,3 Promille.
Bei der Polizei hatte sie ausgesagt, daß ihr Mann sie „so gereizt und beleidigt“ hatte, daß sie zustechen wollte. Dabei hätte sie sonst immer Verständnis für seine Krankheit gehabt. Sie selbst sei ja auch nicht immer ruhig gewesen. „Natürlich“ habe sie manchmal auch mit ihm zusammen getrunken. Einmal hat sie so mit ihrem Mann mitgehalten, daß ihr der Führerschein entzogen wurde. „Dafür habe ich mich wahnsinnig geschämt“, sagte sie.
Auch ihr Mann, der als Zeuge aussagte, sprach von Scham. Der 50jährige Rentner, der nach dem Messerstich in die Brust drei Tage im Krankenhaus verbringen mußte, fühlt sich für die Tat verantwortlich. „Ich bin schuld“, sagte er. „Wenn ich mich wie ein Mensch und nicht wie ein Schwein benommen hätte, wäre das nicht passiert.“ Seine Frau habe im Laufe der Jahre „einiges einstecken“ müssen. Er betonte, daß seine Frau immer für ihn dagewesen sei und ihn „nie was Böses tat“. Er verstehe, daß sie sich gewehrt habe.
Nach seiner Zukunft befragt, sagte er, daß er „keinen Schluck mehr“ trinken werde. „Das sage ich nicht so einfach dahin“, betonte er. „Ich habe meine Frau lieb und wir möchten zusammen alt werden.“ Der blutige Streit sei ihm „eine Lehre“ gewesen. Auch seine Frau will „die Partnerschaft weiterführen“, vorausgesetzt, er hält sich an sein Versprechen. Als die Richterin einen Brief der 14jährigen Tochter verliest, blicken die Angeklagte und ihr Mann betreten zu Boden. Die Tochter begründet darin, warum sie es zu Hause nicht mehr aushält: „Wozu bin ich auf der Welt, wenn ihr immer streitet.“ Sie komme erst wieder nach Hause, „wenn ihr euch wieder vertragt“. Das Urteil wird für den 3. August erwartet. Barbara Bollwahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen