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Zwischen Stau und Staunen

■ Eine Nacht auf dem Datenhighway zwischen Colorado und Helge Schneider: Da wird Berlin zum Stadtteil des Global Village / Ein Selbstversuch am Computerbildschirm

„Internet ist hip“, meint Nils. Er hat immer ein offenes Ohr wenn mein Computer streikt, aber seit kurzem ist das Telefon ständig besetzt. Dafür kann ich ihn online erreichen. Internet ist in aller Munde. Per Tastendruck geht's durch das Global Village. Sydney, Atlanta und Stockholm liegen nur ein paar Tasten von Berlin entfernt, und das alles vom eigenen Schreibtisch aus.

World Wide Web (kurz WWW) heißt das Zauberwort, die an Windows angelehnte Bildschirmoberfläche soll das Surfen im weltweiten Datennetz zum Kinderspiel machen. Aber denkste: Der Andrang ist zu groß, Stau auf dem Datenhighway, schon auf dem Weg zur ersten Datenbank bleibt mein Computer hängen. Zwischen Feierabend und Mitternacht ist der Run auf das Datennetz am größten, weiß Nils. Dann sei es sowieso viel cooler, weil nachts auch jenseits des großen Teiches die Internet-Surfer unterwegs sind und in den zahllosen Newsgroups dann die heißen weltweiten Diskussionen laufen. Das muß man ja wohl mal erlebt haben, aber bis dahin bleibt noch Zeit, sich ein wenig durch das Berliner Angebot treiben zu lassen. Über 100 Anlaufpunkte in der Stadt nennt mir mein Computer, von der taz über den Multi Siemens bis zum Stenographenverein von 1949. Ein paar Ausflugstips und Veranstaltungshinweise lassen sich abrufen, die Zweite Hand schickt ihre sämtlichen Anzeigen ins Netz. Die Adressen der Senatskanzleien sind verfügbar, doch der Bürgermeister und seine Senatoren reiten noch nicht auf der Zeitgeistwelle. Im Mittelpunkt des Internet stehen natürlich die Universitäten und Fachhochschulen. Doch scheint noch keine Bibliothek via Internet erreichbar zu sein. Die Zentralbibliothek der Humboldt-Universität, so teilt man mir mit, befinde sich noch im Aufbau.

Von der University of Colorado werde ich zwar freundlich begrüßt, aber leider sei ich ohne Paßwort nicht zugangsberechtigt. Die Universität Konstanz bietet mir die Recherche unter fast 2 Millionen Titeln an, verrät aber nicht, wie ich die Literatur-Recherche durchführen kann. Nach einigen weiteren Mausklicks kann ich im Katalog der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich stöbern: Über 2 Millionen Einträge zu Monograhien und Zeitschriften.

Die Newsgroups versprechen, hier könne über alles und jeden diskutiert werden, über den Krieg am Balkan, über Berlins Kneipen oder den Arsch von Helge Schneider. Die neuesten Computerprogramme werden gepriesen. Klar könnte ich einen schnelleren Modemtreiber gebrauchen, doch in dem Computer-Kauderwelsch komme ich mit etwas verloren vor.

Im Forum für neue Internet- Nutzer fragt ein Teilnehmer aus Birmingham/Alabama, ob die alten Hasen nicht mal ein paar Tips geben könnten, wo die interessanten Debatten laufen. Das ja sei, als ob man nur auf der Gischt der Welle reiten wolle, höhnt es aus Brüssel zurück, verraten wird nichts. „Wie ist das Wetter in Berlin?“ fragt Michael. „Hier in Moskau ist es regnerisch.“ Natürlich könnte ich aus dem Fenster sehen, aber drei Tasten gedrückt, und das Wetteramt Potsdam verrät mir, in Berlin ist es wolkenlos bei 27 Grad.

Mein Freund Peter meldet sich aus Hamburg, auch er quält sich von Zeit zu Zeit durchs Internet. Mit Uni-Kollegen in den USA, so berichtet er mehr beeindruckt als begeistert, tauscht er sich gelegentlich über die Rassismusforschung aus. Jetzt braucht er einen Text von mir, mit meiner neuen e-mail-Adresse sei dies doch jetzt kein Problem und koste nur 23 Pfennig.

Der Ausflug in die Datenwelt zieht sich über Stunden hin. Von Warteschleife zu Warteschleife quält sich mein Computer, während ich endlich einmal dazu komme, in den Pausen meinen Schreibtisch aufzuräumen. Die Rechnung präsentiert mir mein Internet-Provider erst am Ende des Monats. Die ersten drei Stunden waren kostenlos, das klang verlockend. Doch Nils hat schon eine Lösung parat: Ein schnelleres WWW- Programm müsse her, mehr Arbeitsspeicher brauchte ich und einen schnelleren Prozessor; der sei bei meiner Computergurke sowieso angesagt. Und wie steht es mit einer ISDN-Leitung? Christoph Seils

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