: Faserbrand
Christian Krachts Reise durch ein Land, das eigentlich ganz schön sein könnte, wenn nur die Nazis nicht ... In der Urfassung wiederhergestellt ■ Von Susanne Fischer
Also, es fängt damit an, daß ich mir eine Zigarette anzünde. Ich weiß nicht, ob ich das richtig beschreibe. Ich stehe da in Bielefeld vor der Nordsee-Filiale. Das ist natürlich nicht wirklich eine Filiale der Nordsee. Man kann da Fischbrötchen kaufen, und ich denke, es ist berühmt wegen irgendwas. Das habe ich aber vergessen. Genau kann man so was ja nicht wissen. Also, ich zünde mir eine Zigarette an, nachdem ich vorher in ein Fischbrötchen gebissen habe. Da war so Soße auf dem Fisch, die schmeckte noch nicht einmal schlecht, obwohl sie dem Jungen, der mir gegenübersteht, und dessen Jackett bestimmt 2.000 Mark weniger als meins gekostet hat, auch ganz gut schmeckte. Dann tropfte mir die Soße aber auf meine Barbourjacke, weil ich oft nicht so richtig aufpasse beim Essen, und jetzt finde ich die Soße eklig und die Jacke auch. Ich habe etwa 17 Flaschen Bier getrunken, und Bielefeld ist wie eine Barbourjacke mit Soße drauf. Ich zünde mir also eine Zigarette an, und dann lege ich die Jacke auf den Boden und zünde die auch an.
Danach rufe ich mir ein Taxi und fahr' damit bis Stuttgart. Es ist ein Mercedes, und der Fahrer ist nicht älter als ich und außerdem sauer, weil sein Jackett 3.000 Mark billiger ist als meins. Jetzt sehe ich erst, daß er gar kein Jackett hat, sondern eine stinkende Lederjacke. Sachen, die stinken, mag ich nicht so, und ich zünde mir zwei Zigaretten an. Das war schon früher so, und ich muß wieder daran denken, wie ich mit meinem Vater in unseren drei Mercedessen nach Frankreich gefahren bin. Also, ich weiß nicht, ob das die richtige Mehrzahl ist. Mein Vater also saß vorne am Steuer, und ich saß hinten und war noch ziemlich klein. An jeder Raststätte haben wir das Auto gewechselt, erst das rote, dann das blaue. Am Ende dann auch noch das grüne, und ich dachte, daß Frankreich ist wie drei Mercedesse. Manchmal denke ich das heute noch, und genau kann man so was ja nie wissen.
Als ich dem Fahrer sage, er soll über München fahren, runzelt er die Stirn. Ich muß da aber doch mal rasch ins „Dovis“; er kann ja draußen warten. Als ich hineinkomme, sehe ich die gesamte Tempo-Redaktion da sitzen, die eine Splittergruppe der RAF aufgemacht haben soll, wie ich neulich hörte. Ich habe aber, wie beim Essen, nicht richtig aufgepaßt. Also, ich möchte ihnen lieber nicht begegnen. Außerdem verhauen sie mich oft, sobald sie mich sehen. Ich weiß nicht, ob ich mich da richtig ausgedrückt habe.
Ich zünde mir eine Zigarette an, trinke einen Dovis-Spezial und zünde mir eine Zigarette an. Der Barkeeper guckt so peinlich, daß ich aus Rache seine Barbourjacke mitnehme. Die schenke ich dann dem Taxifahrer. Vorher scheiße ich aber noch auf den Tresen, weil da so Geschäftsmänner mit Köfferchen dran sitzen, und ich denke, daß da ja früher bestimmt so Nazis gesessen haben. Also, das weiß ich natürlich nicht genau, und eigentlich gab es das „Dovis“ ja damals noch gar nicht. Walther von der Vogelweide ist der Rembrandt des Mittelalters. Jetzt muß ich aber grinsen. Dann zünde ich das Lokal an.
Der Taxifahrer schlägt vor, nach Hamburg zu fahren, weil er da heute noch auf einer Party eingeladen ist. Ich höre aber nicht richtig zu. Also, warum nicht, ich möchte nicht unhöflich sein. Während wir fahren, zünde ich mir eine Zigarette an, und mir fällt ein, wie mir mein Vater einmal zwei Bonbons schenkte. Ich weiß nicht mehr, in welchem Mercedes das war. Er sagte, daß einer für die rechte und einer für die linke Hand sei. Ich wußte aber, daß beide für meinen Mund waren. Trotzdem tat ich so, als würde ich ihm glauben. Wie peinlich das doch damals schien. Heute muß ich aber drüber nachdenken, während ich im Taxi durch das Land fahre, das so ist, wie eine geflickte Barbourjacke mit Spinatkotze, Blue Curaçao und Hundekacke drauf. Ich weiß nicht, ob ich das so richtig erkläre. Ich glaube, daß dieses Land schön sein könnte, wenn die Nazis nicht alles verdorben hätten.
Auf der Party des Taxifahrers sind lauter Leute, deren Jacketts zusammengenommen 29.000 Mark weniger gekostet haben als meins. Jemand pißt auf meine neue Barbourjacke, hier sind Drogen im Spiel. Also, Drogen widern mich an, wie alles, was schmutzig ist. Drei Kifferinnen schauen aus großen, traurigen Augen zu peinlicher Musik, die ich nicht ertragen kann. Eine davon könnte meine Mutter sein, die nie mit im Mercedes saß. Ich zünde mir eine Zigarette an. Wenn ich mit meiner Mutter alleine auf dem Mond leben könnte, wäre ich glücklich. Ich würde ihr vom Zigarettenrauchen erzählen. Also, da bin ich ganz sicher. Doch ich weiß, daß ich die Kifferin nie wiedersehen werde. Ich versuche, ihren Porsche zu klauen, aber sie hat gar keinen. Fünfundzwanzig Jahre später lese ich in der Zeitung, daß sie sich totgekifft hat. Ich allein hätte das verhindern können, was ich aber hier auf keinen Fall deutlich aussprechen will. Also, ich fahre weiter nach Stuttgart. Ich zünde das Taxi an.
Im ICE begegnet mir Helmut Kohl. Sein Jackett war 2 Mark billiger als meins, doch er versteht es nicht zu tragen. Ich trinke 250 Bierflaschen im Speisewagen leer. Es kann auch Chablis gewesen sein. Ich weiß nicht, ob ich noch richtig rülpsen kann. Ich glaube, daß der deutsche Speisewagen sehr schön sein könnte, wenn die Nazis nicht alles verdorben hätten. Während ich ihn anzünde, muß ich daran denken, wie mein Vater früher den Mercedes angelassen hat. Er drehte den Schlüssel herum. Das war peinlich, aber auch schön. Irgendwie war ich stolz auf ihn, obwohl er zuviel Gold an den Zähnen hatte für meinen Geschmack. Helmut Kohl könnte schön sein, wenn er mit meiner Mutter zusammen auf dem Mond leben würde und ich ihnen vom Nazi erzählen dürfte. Das ganze Land könnte dann schön sein. Ich zünde es an.
Christian Krachts Roman „Faserland“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen
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