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Ein Vollmund verschenkt Narreteien

Ob laut oder luise – die Sprache gehört allen: Der Dichter Ernst Jandl feiert heute siebzigsten Geburtstag  ■ Von Peter Walther

Bei ihm handle es sich um den „traurigen Fall eines Lyrikers ohne eigene Sprache“, ließ ein bekannter Verleger aus Frankfurt am Main Ernst Jandl als Antwort auf eingesandte Gedichtproben Anfang der sechziger Jahre wissen. Dreißig Jahre später kommt der mit Preisen und Ehrungen überhäufte Dichter auf das Urteil zurück: „Die Sprache gehört mir nicht, diese meine deutsche Sprache gehört mir nicht. Sie gehört allen.“ Ebensowenig wie Jandl eine exklusive Dichtersprache für sich reklamiert, scheut er davor zurück, sich „der vollen Lautskala des Argots“, der „heruntergekommenen Sprache“ zu bedienen. Sein Mißtrauen gegen den „hohen Ton“ hängt mit Erfahrungen zusammen, die er als Jugendlicher in der „Ostmark“, im einverleibten Österreich, gemacht hat. Er war dabei, als auf dem Heldenplatz „verwogener stirnscheitelunterschwang / nach nöten nördlich, kechelte“ („wien: heldenplatz“) und Zehntausende dazu im Rhythmus den Arm zum „deutschen Gruß“ in die Luft reckten.

Zwei Jahre Wehrmacht, dann die Befreiung als POW, als Kriegsgefangener der Amerikaner. Hier lernt er den Grundstock für seinen späteren Beruf als Lehrer für Deutsch und Englisch, in dem er über Jahrzehnte tätig ist: „a fleck / on the flag / let's putzen“. Man stelle sich vor, Jandl als Klassenlehrer! Glückliches Wien.

Die ersten, seit 1952 in Zeitschriften veröffentlichten Gedichte Jandls lassen noch wenig ahnen von dem wenig später ausbrechenden Sprachwitz, dem Spiel mit Wörtern und Lauten, das sein Vorbild in den dadaistischen Lautgedichten von Hugo Ball, Raoul Hausmann und Kurt Schwitters hatte. Mitte der fünfziger Jahre versucht die „Wiener Gruppe“ um H. C. Artmann, an diese damals weitgehend in Vergessenheit geratene Tradition anzuknüpfen. Neben den parallelen Versuchen der konkreten Poesie und dem Dadaismus hat Jandl noch andere Bezugspunkte für sein Schreiben genannt: Gertrude Stein, den frühen Johannes R. Becher aus expressionistischer Zeit, Hans Arp und August Stramm. Über Letzteren hat er ein Gedicht geschrieben:

er august stramm

sehr verkürzt hat

das deutsche gedicht

ihn august stramm

verkürzt hat

der erste weltkrieg

wir haben da

etwas länger gehabt

um geschwätzig zu sein

Was wie eine Mischung aus Respektlosigkeit und Understatement anmutet, zieht sich als Haltung durchs ganze Werk des Dichters: Der Ton ist unpathetisch, wenn nicht antipathetisch, ohne dabei angestrengt zu klingen. Die groteske Behandlung des Sprachmaterials schützt die Gedichte davor, vom Gewicht des Bekenntnishaften erdrückt zu werden. „lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern“, heißt es in dem Gedicht „lichtung“. Als Geburtstagsgruß an Jandl erschien die Titelseite der taz vor fünf Jahren mit konsequent vertauschten Konsonanten („Mit Huckepack und 5 Plozent ins Palrament“). Die Resonanz war euphorisch, die Kollegen von Luchterhand und vom Stern gratulierten, Jandl schrieb einen freundlichen Dankesbrief, und ein „leitender Angestellter“ gestand in einem Leserbrief, daß ihm „auf offener Straße“ Tränen der Rührung gekommen seien.

An dieses Maß von Popularität war nicht zu denken, als Jandl seinen ersten Gedichtband „Andere Augen“ (1956) veröffentlichte – das Buch fand kaum Beachtung bei der Kritik. In den folgenden Jahren bietet sich dem Dichter, der zunehmend vom „konventionellen“ Gebrauch der Sprache abrückt, kaum eine Publikationsmöglichkeit.

Die meisten Verlage, die seine Sprechgedichte zur Begutachtung geschickt bekommen, lehnen kommentarlos ab, nur einmal, so berichtet Jandl, macht sich ein Mitarbeiter die Mühe, einen Kurzbrief zu entwerfen: Man könne heute zwar vieles als Gedicht bezeichnen, allein derartiges ... Ende 1966, mit „Laut und Luise“, gelingt der Durchbruch. Nun interessiert sich nicht mehr allein die literarische Öffentlichkeit für den experimentellen Lyriker aus Wien, sondern auch ein breites Publikum. Solche Gedichte wie „schtzngrmm“ oder „lichtung“ (später kommt „ottos mops“ hinzu) kennen auch die, die sonst nichts mit moderner Lyrik im Sinn haben. Jandl bekommt es mit der Kehrseite der Popularität zu tun, seiner Vermarktung als ein lyrischer Witzbold in den Medien, mit der Erwartung des Publikums, er möge etwas Komisches zum besten geben.

Allein – auf die billige Pointe kommt es ihm nicht an. Ebenso vielfältig wie die Techniken der Sprachbehandlung sind die Einfälle, die Jandl zum Text verdichtet. Oft sind die gedruckten Gedichte nur Handlungsanweisungen zum inszenatorischen Gebrauch, Partituren für eine Lesung, die auf den akustisch-materiellen Charakter des Gedichts setzen. Jandl selbst ist der beste stimmliche Interpret seiner Sprechgedichte, Aufnahmen seiner Lesungen sind schon lange auf Cassette und Video zu haben. In anderen Texten wiederum, in denen die Sprache scheinbar heil und unbeschadet bleibt, werden Absurditäten im Plauderton vermittelt, etwa jene von den „sieben kindern“:

wieviele kinder haben sie

eigentlich? – sieben

zwei von der ersten frau

zwei von der zweiten frau

drei von der dritten frau

und eins

ein ganz kleins

von mir selber

Beides steht im Werk von Jandl nebeneinander: die bloße Freude am Spiel mit der Form oder mit der Lautgestalt der Wörter (BESSEMERBIRNEN / als mehr kanonen) und der unaufdringliche Vorsatz zur Aufklärung. Die Skepsis vor der Sprache geht bei dem Dichter nie so weit, den Aussagewert der Sprache gänzlich zu leugnen. Jandl kommt es auf den anderen Blick an, der sich aus der überraschenden Konfrontation des scheinbar Normalen mit dem Phantastischen ergibt. Der Kontrast kann auch anderer Art sein, wie etwa in „rilke, reimlos“, einer Persiflage auf das Auratische in der Dichtung, die vergleichbar ist mit Christian Morgensterns „Mondkalb“-Gedicht: „rilke / sagte er // dann sagte er / gurke // leise dann / wolke“.

Während der letzten vierzig Jahre hat Jandl mehr als ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht, beinahe genauso viele Hörspiele und einige Szenen fürs Theater geschrieben; nebenbei hat er sich als Übersetzer aus dem Englischen betätigt. In seinen Gedichtbänden sind zu jeder Zeit – in unterschiedlicher Gewichtung – konventionelle neben experimentellen Texten zu finden. Während der letzten Jahre haben die resignativen Töne zugenommen – Gedichte von Depressionen und vom körperlichen Verfall. Auf Lesereisen strahlt Jandl die alte Vitalität aus. Siebzig Jahre alt wird er heute, mehr als vierzig davon hat er gemeinsam mit der Lyrikerin, Englischlehrerin und Hörspielautorin Friederike Mayröcker verbracht. Dieser Dichterbeziehung verdanken wir einige der schönsten Gedichte Jandls. Eines davon heißt schlicht:

von ziegen

der fuß hat mich in dreck

gestiegen

bin bis zum knie mit kacke voll

und darf nun dir aufs bett

beiliegen

ohne zu waschen – einfach toll

das ist der sieg von großen lieben

worüber sich noch manches wort

verlieren ließe

wenn es nicht immer lauter in mir hieße

wo bleibt denn die hygiene? sind wir ziegen?

Die Gesammelten Werke von Ernst Jandl hat Klaus Siblewski herausgegeben (3 Bände, Luchterhand Verlag Frankfurt/M. 1990).

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