■ Cash & Crash: Wenn Genossen plötzlich Geld sehen wollen
Berlin/Tokio (taz/dpa) – Das Bankgebäude wimmelte vor Menschen, die ihre Konten abräumen wollten. Schlangen vor allen Filialen; Wagenladungen von Bargeld mußten angekarrt werden, um Kunden auszuzahlen. Der Anschein, dieser Artikel beschreibe das New York des Jahres 1929, trügt. Das Spektakel spielte sich am Montag in Tokio vor der Kreditgenossenschaft Cosmo Shinyo Kumiai ab.
Die Finanzmächtigen in Japan rudern heftig, damit die Parallelen zu den Ereignissen von 1929 aufhören und sich keine Panik ausbreitet. Erst mal hat die Regierung, nachdem die Genossen der Bank schon am Montag 62,7 Milliarden Yen (960 Millionen Mark)oder gut 14 Prozent der Gesamteinlagen abzogen, der Bank die Einstellung ihrer Geschäfte befohlen. Der Finanzminister will sie sogar ganz schließen, sagte er gestern im Fernsehen. Noch am Wochenende hatte Cosmo Berichte über eine finanzielle Notlage zurückgewiesen. Allein, die Sparer wollten daran nicht glauben. Zu überzeugend waren die Rechnungen, wonach die Genossenschaftsbank 499,2 Milliarden Yen (7,7 Milliarden Mark) ausgeliehen hat, aber nur über 439,2 Milliarden Einlagen verfügen durfte. Von den Krediten wiederum sollen 180 Milliarden Yen verloren und eine ebenso große Summe notleidend sein.
In Zeiten des verrückten Immobilien- und Börsenbooms hatte die Bank großzügig Geld verliehen – mit überteuerten Gebäuden und Aktien als Sicherheit. Mit dem Platzen der Spekulationsblase waren die Kreditnehmer klamm und die Sicherheiten nicht mehr viel wert. Da ist es auch kein Trost, daß sich Cosmo damit in guter Gesellschaft fast aller japanischer Banken befindet.
Das japanische Finanzsystem sei sicher, beschworen gestern japanische Banker und Regierungsvertreter die internationale Geldgemeinde. Finanzminister Masayoshi Takemura, der Gouverneur von Tokio, Yukio Aoshima, und Notenbankchef Yasuo Matsushita haben einen Notplan entworfen. „Nahezu alle“ Kontoinhaber sollen einem Sprecher des Finanzministeriums zufolge ihr Geld zurückerhalten. Cosmo werde von einer anderen Bank übernommen. Zu dem Plan gehören Sonderkredite der Zentralbank und bis zu 20 Milliarden Yen Hilfen aus Steuergeldern der Präfektur Tokio. Sehr witzig werden die Tokioter Bürger diese Kapriole ihres Gouverneurs nicht finden: Der frühere Komiker hat im April die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, keine Steuergelder für Kreditinstitute auszugeben. lieb
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