: Berge wachsen in Mecklenburg
■ Ein Drittel der deutschen Altreifen verschwindet nach Angaben der Bundesregierung jedes Jahr aufs Neue - kriminelle Geschäftemacher verschieben einen guten Teil davon in die neuen Länder
Berlin (taz/AP) – Reifen über Reifen. Davon kann die kleine westmecklenburgische Ortschaft Brenz in der Nähe von Ludwigs- lust ein Lied singen. Die Wende entließ Brenz mit einer Altlast von 3.000 Tonnen Altreifen. Innerhalb von sechs Jahren steigerte sich der Reifenberg auf 18.000 Tonnen. „Nach dem Reifenhersteller Continental dürften wir das größte Lager Deutschlands besitzen“, seufzt der Bürgermeister Martin Just. Eine ungewollte Last – denn selbst nachdem die kleine Gemeinde das Gelände amtlich sperren ließ, rollten weiterhin illegale Altreifentransporte an.
Inzwischen ermittelt die Schweriner Staatsanwaltschaft gegen die dreisten Geschäftemacher, nicht ohne Schwierigkeiten: „Woher sollen wir denn wissen, wer was wo und in welchen Mengen hingeschüttet hat“, beklagt sich deren Pressesprecher. Vor der Altreifenlagerung und - entsorgung verschließt man in Deutschland noch gerne die Augen. Auf eine kleine Anfrage der SPD, wo denn die jährlich anfallenden 600.000 Tonnen Altreifen in Deutschland blieben, gab die Bundesregierung im Juni zu, daß rund ein Drittel der Altreifen schlicht „verschwänden“. Zielort: unbekannt.
Das Geschäft mit den illegal gelagerten Altreifen beginnt beim Autohändler. Für die ausgedienten Reifen knöpft er dem Autofahrer zwischen drei und fünf Mark pro Stück ab. Ein Eldorado für Geschäftemacher: Für eine Mark pro Stück sichern sie dem Autohändler eine ordnungsgemäße Entsorgung zu – und holen die Reifen bei ihm ab. „Die meisten Reifen werden nachher einfach in die Wallachei geschmissen“, ärgert sich Andreas Prüfer von der Reifenentsorgungsgesellschaft Hannover. Die Reifen-Stadt Brenz steht mit ihrer schwarzen Gummilast nicht alleine da: Allein im Bereich des Staatlichen Amtes für Umwelt und Natur Schwerin (Staun) sind sechs weitere ominöse Altreifenberge bekannt.
Die „kriminellen Aktivitäten“, so die Bundesregierung, würden von Privatpersonen oder privaten Unternehmern ausgeübt. „Wenn die Betreiber keine emissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Müllhalde haben, müssen wir sofort einschreiten“, erklärt die Pressesprecherin des Staun.
Hinweise kommen von der Bevölkerung und von dem polizeilichen Umweltdienst. Ist eine illegale Müllhalde bekannt, werden dem Betreiber Zwangsgeldbescheide und Stillegungsdrohungen zugeschickt. Das Ende der Geschichte: Ist der Betreiber nicht erreichbar oder hat kein Geld, dann muß der Steuerzahler für die endgültige Entsorgung der Reifen in die Tasche greifen. Die polizeiliche Kontrolle im nachhinein, wenn sich bereits die illegalen Altreifenberge türmen, ist eine Politik, die beim falschen Ende ansetzt, findet der BUND Naturschutz Mecklenburg-Vorpommern. „Wir müßten bei den Gemeinden regelmäßige Rundfragen starten“, meint dort Peter Westenberger, „wo die Altreifen hinkommen und wie sie anschließend entsorgt werden.“
Zu spät für die Ortschaft Brenz. Sie will nun mit ihren 18.000 Tonnen Altreifen einen Lärmschutzwall bauen, der die Lärmbelästigung durch die A24 Hamburg– Berlin im Naturschutzgebiet Lewitz eindämmen soll. Für dieses Projekt fehlen aber noch ein Planungsbüro, die materielle Unterstützung und die Genehmigungen der zuständigen Behörden. „Keine gute Idee“, findet Peter Westenberger im BUND Naturschutz Mecklenburg-Vorpommern. Probleme bei der Altreifenentsorgung würden so schlicht verschoben. Wenn man den Lärmschutzwall wieder abreißen muß, säße man erneut auf der Mülldeponie. Einzig wirksames Vorgehen: eine Verordnung der Bundesregierung, die die Hersteller und Vertreiber von Autoreifen zwingt, Altreifen entsprechend zu entsorgen.
Im Schweriner Umweltamt ist man empört über den Verdacht, daß diese Altreifenwüsteneien ein speziell ostdeutsches Problem seien. „Im Gegensatz zu den alten Bundesländern lassen wir keine illegalen Transporte ins Ausland zu“, meint dort die Pressesprecherin. 200.000 Tonnen Verschollene jährlich – ab nach Mecklenburg- Vorpommern. Julia Seidl
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