: In Grosny zerbricht das antirusssische Bündnis
■ Präsident Dudajew entläßt seinen Verhandlungsführer / Um sein politisches Überleben zu sichern, muß er auf der Unabhängigkeit Tschetscheniens bestehen
Moskau (taz) – Nach der Unterzeichnung eines Militärabkommens zwischen Tschetschenien und Rußland hat Präsident Dschochar Dudajew den Mann entlassen, der dieses Abkommen für ihn unterzeichnete, den tschetschenischen Justizminister Usman Imajew. Der Schritt kam nicht überraschend.
Dudajew hatte in den vergangenen Tagen mehrfach die mühselig ausgehandelten Vereinbarungen als unhaltbar zurückgewiesen und seinen eigenen Gesandten in aller Öffentlichkeit desavouiert. In Grosny hieß es, der Separatistenführer bezichtige Imajew, die Interessen seines Volkes verraten zu haben.
Zweifel sind angebracht, ob die Friedensvereinbarungen jetzt noch in die Tat umgesetzt werden können. Zum neuen Chefunterhändler wurde der Erziehungsminister Chodschachmed Jerichanow ernannt.
Offenkundig herrscht in Dudajews Umgebung keine Einmütigkeit mehr vor. Es wäre auch erstaunlich. Denn erst der russische Feldzug zwang ehemals verfeindete Kräfte in die antirussische Phalanx.
Nun, da Frieden möglich scheint und Kompromisse ausgehandelt werden, brechen alte Widersprüche erneut auf. Ein Frieden, der die territoriale Frage nicht klärt oder ein Verbleiben der Republik im russischen Staatsverband, unter welchen Bedingungen auch immer, vorsieht, bringt Dudajew nur Nachteile. Erlangt Tschetschenien staatliche Selbständigkeit, hätte Dudajew politisch noch eine Überlebenschance. Trotz grundsätzlicher Ablehnung des Abkommens soll Dudajew dessen Umsetzung gestern angeordnet haben.
Die Verwirrung scheint zunächst perfekt. Sein Schaukelkurs beruht vermutlich auf der Furcht, einseitig das Abkommen zu widerrufen, während er sich andererseits die Tür offenhält, Absprachen zu unterlaufen, sobald es die äußeren Bedingungen zulassen. Unklar ist aber auch, ob sich die Freischärler selbst an das Abkommen halten. Auch gestern wurde trotz einer seit Mitternacht geltenden Waffenruhe gekämpft.
Um den Soldaten eine Abgabe ihrer Waffen zu erleichtern, erhalten sie pro abgelieferten Stück zwischen 50 oder 100 Mark.
Zumindest der Oberkommandierende der tschetschenischen Streitkräfte, Aslan Maschadow, hält sich bisher an die Vereinbarungen vom Wochenende. Beide Seiten beschlossen inzwischen, Karten der verminten Gelände auszutauschen und eine ständige Funkverbindung einzurichten.
Im Dorf Schali, das von den Freischärlern in den Bergen kontrolliert wird, soll nach Angaben der Zeitung Sewodnja noch diese Woche eine Kundgebung unter Leitung Abu Mowsajews stattfinden. Mowsajew zählt zu den Geiselnehmern von Budjonnowsk. Im Namen Dudajews soll er eine Teilung Tschetscheniens in zwei Gebiete vorschlagen, deren Grenze am Fluß Argun verläuft. Schali möchte Dudajew demnach zu seiner Hauptstadt machen. Klaus-Helge Donath
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