: Handel mit den „Blutaktien“
Komitee fordert die Liquidation der IG Farben / BASF, Bayer und Hoechst sollen ZwangsarbeiterInnen entschädigen ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt.
Hans Frankenthal war einer der jüdischen Arbeitssklaven und Häftlinge im sogenannten IG-Farben-Lager bei Auschwitz. Was er denn überhaupt hier zu suchen habe, wurde der 68jährige auf einer der letzten Hauptversammlungen der IG Farben i. A. (in Auflösung) gefragt. Schließlich habe er als Zwangsarbeiter im Kraftwerk der IG-Farben-Niederlassung einen Liter Suppe mehr bekommen als die Häftlinge im Vernichtungslager. „Da blieb mir die Spucke weg“, sagte Frankenthal, der heute in Dortmund lebt und Vorsitzender des deutschen Auschwitz-Komitees ist.
Exakt 5.000 Mark hat Hans Frankenthal von der Bundesrepublik Deutschland als „Wiedergutmachung“ erhalten – für mehr als drei Jahre Zwangsarbeit und für die Lagerhaft im einzigen privat betriebenen KZ in Europa, dem KZ Monowitz/Buna der IG Farben, auch Auschwitz III genannt. Seine LeidensgenossInnen aus Osteuropa bekamen noch viel weniger Geld und das erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Nach einer Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und Polen wurden an die noch lebenden polnischen Ex-ZwangsarbeiterInnen gerade mal 500 Mark ausgezahlt.
Einen „Skandal“ nannte das der Vorsitzende des polnischen Verbandes der durch das Dritte Reich Geschädigten, Karl Gawlowski. Am Montag abend auf einer von der Aktion „Nie wieder!“ organisierten Podiumsdiskussion im Volksbildungsheim in Frankfurt/ Main waren sich Frankenthal und Gawlowski einig: die Nachfolgefirmen der IG Farben, die Chemiekonzerne Hoechst, Bayer und BASF, die sich gerade in den letzten Jahren goldene Nasen verdienten, müßten endlich ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen des Konzerns nachkommen. Und die IG Farben i. A. gehöre endgültig aufgelöst und das Konzernvermögen an die ExarbeitssklavInnen ausgeschüttet. Rund 350.000 Menschen aus ganz Europa seien bis 1945 in den Fabriken und Lagern der IG Farben geschunden worden, schätzt der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Nazregimes (VVN) und Altkommunist Peter Gingold. Die meisten kamen dabei zu Tode.
Doch die vier für die Vorstandsvorsitzenden der genannten Chemiegiganten und für den „Liquidator“ der IG Farben i. A. vorgesehenen Regiestühle auf dem Podium in Frankfurt blieben leer. Die Vorstandsvorsitzenden waren und sind sich (noch) einig: Weder BASF noch Bayer noch Hoechst seien Nachfolgefirmen der mit den Nationalsozialisten kooperierenden, verbrecherichen IG Farben. Vielmehr sind die heutigen Chemieriesen neue, eigenständige Konzerne. Die Geschichte der Hoechst AG etwa endet 1925 mit der Gründung der IG Farben. Und sie beginnt wieder 1946 mit der Gründung der Hoechst AG. Die BASF walzte 1991 die letzten erhaltenen Überreste des IG Farben KZs Schwarzheide (Ex-DDR) „aus Versehen“ platt – Baracken, Gaskammern und Krematorien. Erst nach massiven Protesten ließ sich der Konzern dazu bewegen, an der Stelle des KZ einen „Gedenkpark“ einzurichten. Und der, so berichtete ein Sprecher von „Nie wieder!“, sehe aus wie ein ganz normaler Stadtpark.
Ein Vertreter der Kampage „Nie wieder!“, die unter anderem vom Dachverband der kritischen AktionärInnen, dem VVN und dem Auschwitzkomitee getragen wird, kündigte für die heute in einem Hotel am Rhein-Main-Flughafen beginnende Hauptversammlung der IG Farben Gegenanträge und Aktionen an. 50 Jahre nach Kriegsende sei es höchste Zeit, die IG Farben i. A. endgültig aufzulösen und den Handel mit den „Blutaktien“ zu unterbinden. Und die Nachfolgekonzerne hätten sich endlich zu ihrer Mitverantwortung zu bekennen, die Ex- ZwangsarbeiterInnen zu entschädigen und die Finanzierung und den Erhalt der Gedenkstätten in Auschwitz und Schwarzheide sicherzustellen. Außerdem müßten die Nachfolgefirmen der IG endlich freien Zugang zu ihren Archiven gewähren.
Doch die lebende Leiche IG Farben wehrt sich heftig gegen ihre endgültige Liquidation. Als die „Liquidatoren“, die eigentlich Vorstandsvorsitzende sind, Ansprüche auf Grundbesitz im Osten angemeldet hatten, waren die Aktien an der Börse wieder gefragt. Immerhin handelte es sich um Ländereien von der Größe des Saarlandes. Nach einigen Niederlagen vor Gericht sank der Kurs jedoch wieder auf derzeit 3,80 Mark (siehe Kasten).
Der Konzern arbeitete eng mit der SS zusammen. Seine Tochterfirma Degesch stellte das Vernichtungsgas Zyklon B her und mit den Substitutionsprodukten für Benzin und Gummi „machte er den Zweiten Weltkrieg erst möglich“, so VVN-Vorsitzender Gingold. Falls es tatsächlich dazu kommen sollte, daß dieser Konzern aus Steuermitteln entschädigt wird, wollen kritische AktionärInnen dafür sorgen, daß diese Mittel dann für Entschädigungszahlungen an ExzwangsarbeiterInnen verwendet werden. Doch das schmeckt etwa Peter Gingold überhaupt nicht: „Es kann doch nicht richtig sein, daß die Allgemeinheit die Entschädigungen bezahlt, während die Konzerne, die heute mächtiger sind als die alte IG Farben, sich aus der Verantwortung stehlen.“
Hätte etwa die Bayer AG im Geschäftsjahr 1994 nur eine Mark Dividende weniger ausgeschüttet (13 Mark pro Aktie kamen zur Auszahlung), wären 60 bis 70 Millionen Mark zusammengekommen, mit denen die nur noch wenigen ExarbeitssklavInnen, die fast alle gesundheitliche Schäden davongetragen haben, hätten entschädigt werden können.
Doch gerade Bayer fährt die ganz harte Linie. VertreterInnen aus den Reihen der kritischen AktionärInnen wurden auf der letzten HV mit dem Verweis darauf, daß dieses Thema hier nicht interessiere, weil Bayer kein Nachfolgekonzern der IG Farben sei, mit Gewalt von Rednerpult geholt und der Polizei übergeben. Zum Konzern von Bayer gehört heute beispielsweise die IG-Farben-Schwester Agfa.
Doch die Front scheint zu brökkeln. Weitaus sensibler, so ein Sprecher der Kampagne „Nie wieder!“, habe Hoechst reagiert. Nicht nur, daß Peter Gingold vom VVN auf der letzten Hauptversammlung unbehelligt reden durfte und dafür „unerwarteten Beifall“ erhielt. Der neue Vorstandschef Jürgen Dormann kündigte danach schriftlich an, daß der Konzern einen „namhaften Geldbetrag“ spenden werde, um einen Fond zum Erhalt von Gedenkstätten einzurichten. Damit diese Geld „sinnvoll“ verwendet werden könne, seien aber zunächst „Konsultationen mit der Bundesregierung“ notwendig, schrieb Dormann.
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