„Angriff auf den Geldbeutel“

Hessen will die bisher sozialversicherungsfreien 580-Mark-Jobs abschaffen. Die Gewerkschaften sind dafür, aber die sozialpolitischen Auswirkungen sind heftig umstritten  ■ Von Michael Gerster

Berlin (taz) – Wieviel hunderttausend Putzfrauen in Deutschland Böden wienern und Teppiche saugen, darüber gibt es keine genauen Statistiken. Nur eines ist klar: die meisten von ihnen arbeiten unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 580 Mark, zahlen keine Krankenversicherung und erhalten später auch keine eigene Rente. Die hessische Landesregierung will das jetzt ändern. „Die 580-Mark-Jobs abschaffen“, dies bezeichnete die hessische Sozialministerin Barbara Stolterfoht vergangene Woche als eines der wichtigsten Vorhaben ihrer Legislaturperiode. Ein umstrittenes Unterfangen.

Stolterfoht kündigte an, im Konzert mit anderen SPD-regierten Bundesländern eine entsprechende Gesetzesinitiative im Bundesrat einzubringen. Betroffen wären damit – so die Schätzungen – bundesweit rund 3,5 bis 4,5 Millionen sogenannter geringfügig Beschäftigter. Dabei handelt es sich vor allem um Hausfrauen, SchülerInnen, StudentInnen und RentnerInnen. Die Initiative der hessischen Regierung richtet sich vor allem gegen den zunehmenden Mißbrauch durch Unternehmen. Oft hätten Firmen, um selbst zu sparen, fünf bis sechs solcher geringfügig Beschäftigter angestellt, statt einer Vollzeitarbeitskraft. Bei der Gebäudereinigung liege beispielsweise der Anteil der 580-Mark- Jobs bei 70 Prozent. Da die Arbeitgeber für sie weder Beiträge für Kranken- noch Rentenversicherung abführten müßten, werde das Sozialsystem in Frage gestellt und, so Stolterfoht, dem Mißbrauch „Tür und Tor" geöffnet.

Doch die große Frage bleibt, ob mit dieser Initiative den Betroffenen, zumeist Frauen, geholfen ist. „Als Angriff auf den Geldbeutel von Geringverdienern“ hat der Bund der Steuerzahler (BdST) den hessischen Vorstoß bezeichnet. Müßten GeringverdienerInnen von ihrem kleinen Lohn auch noch Sozialabgaben zahlen, werde nicht ihre soziale Sicherheit gestärkt, sondern nur der Geldbeutel geschmälert, erklärte Vorstandsmitglied Dieter Lau.

Der DGB hingegen unterstützt die hessische Initiative. „580-Mark-Jobs sind eine verdeckte Subvention für die Unternehmen. Für die betroffenen Frauen und Männer bedeutet es das soziale Aus.“

Nicht unbedingt zum gleichen Ergebnis kommt eine Studie des DGB-Instituts WSI. In der Studie, die im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung erstellt wurde, errechneten die Experten, daß Beiträge für 580-Mark- Jobs nur geringfügige Auswirkungen auf das Renten- und Sozialversicherungssystem haben würden. Denn würde beispielsweise eine Putzfrau mit zehn Jahren sozialversicherter „geringfügiger Beschäftigung“ auf dem Buckel in Rente gehen, würde sie gerade mal 56 Mark pro Monat erhalten (Berechnungsgrundlage aus dem Jahr 1992).

Zudem, so die Studie, arbeite nur ein sehr kleiner Teil längerfristig in solchen Jobs. Das Interesse der Beschäftigten, Rentenbeiträge abzuführen, sei mit rund 20 Prozent deshalb relativ gering, zumal nahezu alle der sozialversicherungsfrei Beschäftigten über Familienangehörige mitversichert sind. Außerdem fürchten die Experten, daß die erhofften Mehreinnahmen für die Kassen der gesetzlichen Sozialversicherung, durch verstärkte Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit oder Unteraufträge wieder zunichte gemacht werden könnten.

Die bisherige Regelung beibehalten möchte ebenfalls die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Sie argumentiert, durch diese Beschäftigungsverhältnisse ließe sich die erforderliche Flexibilität beispielsweise bei Saisonspitzen und Urlaubsvertretungen erhalten.

In Bezug auf die Arbeitgeberinteressen kommt die WSI-Studie jedoch zu dem Schluß, es bleibe der Eindruck, daß der „eigentliche ökonomische Vorteil darin besteht, daß diese Arbeitskräfte von Sozialleistungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, kein bezahlter Urlaub, kein Weihnachtsgeld etc. ausgeschlossen werden“.