piwik no script img

Wie Petar S. die Schlacht um Bihać verlor

Ein serbischer Kriegsgefangener der bosnischen Armee berichtet, wie er in Belgrad zwangsrekrutiert wurde – und wie die Armee der Krajina-Serben zusammenbrach, als die Offiziere abhauten  ■ Aus Bihać Erich Rathfelder

Petar S. ist gerade 58 Jahre alt geworden. An eine Geburtstagsfeier hat er aber nicht gedacht. Denn er sitzt jetzt zusammen mit über 200 serbischen Gefangenen in einem Wellblechhangar, der sich auf dem Gelände der bosnischen Armee in Bihać befindet. Seit er am Samstag vorletzter Woche hierhergebracht wurde, teilt er das triste Schicksal derer, die nun dem Willen des Kriegsgegners ausgesetzt sind.

„Wir haben uns ergeben“, berichtet Petar. „Hände hoch und fertig.“ Kämpfen wollen er und seine Freunde nicht mehr: „Es ist doch nicht mein Krieg.“ Die serbischen Offiziere seien einfach davongelaufen, als die kroatische Armee sich dem Gelände des Militärflughafens Zeljava von der einen und die bosnische Armee von der anderen Seite näherten. „Warum sollten wir dann unseren Kopf hinhalten?“

Angesichts seiner Geschichte ist diese Haltung nicht verwunderlich. Am 21. Juni kamen Polizisten in seine Wohnung in Belgrad und nahmen ihn mit, er wurde – wie seine Kollegen auch – sofort in eine Uniform gesteckt und in die Krajina gebracht, nach Plitvice. Er sollte trotz seines Alters in der Krajina-Armee kämpfen, weil er aus Kroatien stammt. „Wir alle sind Serben aus Kroatien, die in den letzten Jahren nach Serbien übergesiedelt sind“, berichtet er. Er persönlich habe sein Haus in Slavonski Brod mit einem Kroaten aus Serbien getauscht und sei im Sommer 1994 dann nach Belgrad gezogen. Bei den anderen Gefangenen sei dies ähnlich. „Die Jüngsten unter uns sind über vierzig Jahre alt.“

Der Umstand, daß die Belgrader Polizei sich daran beteiligte, für die Krajina-Serben einen „Volkssturm“ zusammenzustellen und zwangsweise an die Front zu verfrachten, „erzählt viel über die serbische Seite“, sagt Enisa J., eine ehemalige Professorin an der Universität von Sarajevo, die ihren Lebensabend in Bihać verbringen wollte. „Daß der so aufregend wurde, hätte ich mir vor ein paar Jahren nicht vorstellen können.“ Sie lacht. Einmal zeige der serbische Präsident Milošević keinerlei Respekt vor dem eigenen Volk. „Zwangsrekrutierungen sind international geächtet.“ Und zweitens zeige dieser Umstand, wie verzweifelt die Lage der ehemals allgemein als stark eingeschätzten serbischen Krajina-Armee in Wirklichkeit gewesen ist. „Kein Wunder, daß die vor den Kroaten und unserer Armee in 82 Stunden in die Knie gegangen sind.“

In der Tat ist mit der Befreiung Bihaćs die Wende im Krieg auf dem Balkan sichtbar geworden. Sie hat damit alle jene „Militärexperten“ ad absurdum geführt, die seit Beginn des Krieges behaupteten, eine militärische Lösung sei nicht möglich. „Wir müssen jetzt versuchen, die Verwirrung der Serben auszunützen, um der Befreiung Bosniens ein Stück näher zu kommen“, erklärt der Kommandeur der bosnischen Armee in Bihać, Atif Dudaković. „Wir werden das gesamte Bosnien befreien.“ Schon jetzt sei der 5. Korps daran, südlich von Bihać gegen die Serben voranzugehen. So sei die strategisch wichtige Stadt Ribać vor einer Woche zurückerobert worden. Westlich von Bosanski Petrovać, 50 Kilometer südlich von Bihać gelegen, habe die bosnische Armee schon eine neue Front eröffnet, erklärt ein anderer Offizier. „Unser Ziel ist, so schnell wie möglich eine Verbindung zu den kroatisch-bosnischen Streitkräften bei Bosansko Grahovo zu schaffen.“

Erst, wenn das ganze bosnische Gebiet längsseits der Grenze zur Krajina zurückerobert ist, soll in Richtung Banja Luka vorgerückt werden. Dort reorganisieren sich die aus Kroatien geflüchteten serbischen Truppen.

Von der „Befreiung“ Bosniens zu sprechen, sei kein Hirngespinst mehr, bestätigt auch Amir K., ein Journalist der Radiostation in Bihać. „Wichtig für uns war, daß wir die Truppen von Fikret Abdić jetzt wohl endgültig ausgeschaltet haben.“ Fikret Abdić, der Geschäftsmann und ehemalige Direktor des Agrarkonzerns „Agrokommerc“, hatte im Oktober 1993 seine eigene Minirepublik „Westbosnien“ in dem Gebiet um die nördlich von Bihać gelegene Stadt Velika Kladusa ausgerufen. Mit serbischen Söldnern und Muslimen aus seiner Fabrik hatte er eine eigene Armee aufgebaut, die sich im November 1993 gegen die bosnische Armee wandte. Im Sommer 1994 schon einmal geschlagen, kam der von der bosnischen Seite als „Kollaborateur“ beschimpfte Fikret Abdić im November 1994 wieder zurück und griff sogar Bihać direkt an, bevor seine Truppen wieder zurückgeworfen wurden. „Jetzt sind viele der Abdić-Anhänger zu uns übergelaufen“, sagt Amir K. „Sie kommen in den Genuß einer Amnestie, soweit sie sich bis Sonntagabend ergeben haben. Bei den anderen wird verhandelt.“ Fikret Abdić selbst soll sich jetzt in Zagreb aufhalten.

Noch immer wird die Straße nach Bihać von versprengten serbischen Soldaten gefährdet. In den kroatischen Gebieten nördlich der Bihać-Enklave wird noch immer gekämpft. Über die Brücke über die Una bei Dvor östlich der Enklave flüchtet nach wie vor die serbische Bevölkerung.

„In Bosnien wollen wir keine neuen Flüchtlinge produzieren“, erklärt dennoch Atif Dudaković. „Karadžić und Mladić sollen verschwinden, nicht die serbische Bevölkerung. Dann würde viel Blutvergießen vermieden werden.“ Auch Petar S., der serbische Gefangene, wünscht sich ein schnelles Ende des Krieges. „In die serbische Zone Bosniens“, sagt er, „möchte ich jedoch nicht ausgetauscht werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen