piwik no script img

Post-Fortpflanzungsdiktatur

In Albanien stand selbst das Benutzen von Kondomen unter Strafe. Heute folgt in vielen Ländern Osteuropas der Abtreibungsboom  ■ Aus Wien Karl Gersuny

Das Dekret beschäftigt noch heute die Gerichte: „Der Gebrauch von Kondomen wird unter Strafe gestellt“, befahl Albaniens kommunistischer Diktator Enver Hodscha 1977. Schon der Gebrauch eines einzelnen Kondoms wurde mit einer Geldstrafe belegt, auf Handel und Schmuggel mit Verhütungsmitteln stand Gefängnis.

Der damals noch maoistisch ausgerichtete Partei- und Staatschef war zusammen mit seiner Frau Nedschimije zu der Einsicht gelangt, die Idee der Kleinfamilie, wie sie in der chinesischen Kulturrevolution propagiert wurde, sei für den kleinen europäischen Mao- Ableger Albanien langfristig fatal.

Und so wurde im Gegensatz zur Lehre des großen Bruders jede Art von Verhütungsmitteln verboten. Statt dessen wurde die Heirat von Paaren nur gestattet, wenn ein Kind unterwegs war, erst ab zwei Sprößlingen hatten Eheleute ein Recht auf eine eigene Wohnung, ab vier kamen sie in den Genuß einer Familienbeihilfe. Auf illegale Abtreibung stand Gefängnis.

Erst 1990, im Zuge der großen politischen Wende in Osteuropa, brachen die neuen Machthaber mit dieser Praxis. Nedschimije Hodscha wurde unter anderem auch wegen „Kondomverbot und Gebärzwang“ vor Gericht gestellt. Derzeit verbüßt sie eine neunjährige Haftstrafe und bereut nichts.

In einem Interview erklärte sie, unter ihrer Herrschaft habe es keine dekadenten Auswüchse gegeben – keine Drogen, keine Aidskranken, kein wilder Sex. Hat sich Albanien so verändert? Nein, im Land der Skipetaren blüht noch keine Prostitution, ist Aids noch nahezu unbekannt. Nur eines ist geblieben: Eine Aufklärung über moderne Verhütungsmethoden gibt es bis heute nicht.

So endet neuerdings jede dritte Schwangerschaft mit einer Abtreibung. Nach einer Statistik des Gesundheitsministeriums kamen im vergangenen Jahr auf 71.000 Geburten 30.900 legale Schwangerschaftsabbrüche. Die Dunkelziffer könnte noch höher sein, wenngleich den Frauen keinerlei Fristenlösung auferlegt wird und Ärzte auch noch nach dem dritten Monaten Eingriffe für umgerechnet sieben Mark vornehmen.

Brachten Albaniens Frauen zur Zeit der kommunistischen Diktatur im Schnitt drei bis vier Kinder zur Welt, so wollen sie nach Ansicht der Gesundheitsbehörden immer weniger Nachwuchs, weil sie fürchten, die Kinder bei der unsicheren wirtschaftlichen Situation nicht ernähren zu können. Wie überall in Osteuropa.

Selbst in Staaten wie Ungarn und Tschechien, wo sich inzwischen eine vergleichsweise starke Emanzipationsbewegung für die Belange der Frauen stark macht, gilt die Abtreibung seit der Wende als populärste Verhütungsmethode. Obwohl die Anzahl der Abtreibungen, etwa in der Tschechischen Republik, im vergangenen Jahr im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, unterzogen sich 1994 noch immer knapp 45.000 Frauen einem Schwangerschaftsabbruch, etwa 14.000 weniger als 1993. Damit zählt die Tschechische Republik mit 765 Abtreibungen auf 1.000 lebendgeborene Kinder nach Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei auch weiterhin im gesamteuropäischen Maßstab zu den Spitzenreitern von Schwangerschaftsabbrüchen.

Auch Polen scheint trotz rigiden Gesetzen keine Ausnahme zu bilden. Seit Januar 1993 gilt, daß Abbrüche nur noch nach Vergewaltigungen, bei Lebensgefährdung der Mutter oder zu erwartender Behinderung des Babys vorgenommen werden dürfen. Nun reisen die Polinnen eben in die Nachbarländer: Mit Billigbussen ins russische Kaliningrad, nach Prag oder ins ukrainische Lemberg.

Mit den traurigsten Spätfolgen kommunistischer Fortpflanzungsherrschaft kämpft Rumänien. Unter dem Diktator Nicolae Ceaușescu galt: Jede rumänische Familie mußte mindestens vier Kinder aufziehen, damit das Volk bis zur Jahrtausendwende von 22,6 Millionen auf 30 Millionen anwachsen würde. Wie in Albanien waren auch hier jegliche Verhütungsmittel verboten – und am Ende von Ceaușescus Herrschaft wurden Frauen gar zu Zwangsuntersuchungen in Krankenhäuser eingewiesen, falls sie im Verdacht standen, illegal abtreiben zu lassen. Manch eine Frau brachte auf diese Weise gegen ihren Willen ein Kind zur Welt und übergab das Baby gleich nach der Geburt den staatlichen Waisenhäusern. Bis heute leben dort nach offiziellen Angaben noch immer rund 100.000 von ihnen. Weitere 10.000 Kinder vagabundieren eltern- und wohnungslos auf Rumäniens Straßen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen