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„Hol dir den Kupon!“

In Rumänien läuft die Massenprivatisierung des Staatsbesitzes an, doch die Bevölkerung bleibt skeptisch: Unter den Unternehmen sind offenbar viele, die Verluste machen  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

„Sie ist fleißig. Du wirst glücklich mit ihr sein. Sie wartet geduldig, daß du um ihre Hand anhältst. Sie ist eine Fabrik. Mach, daß sie die deine wird. Es ist so einfach.“ Ganzseitige Anzeigen mit diesem Text erscheinen gegenwärtig in allen großen rumänischen Zeitungen. Feilgeboten wird keineswegs die Traum-Hausfrau für den faulen Balkanesen. Die vermeintliche Braut ist eine Aktie, die Anzeige wirbt für das rumänische Massenprivatisierungsprogramm.

Der rumänische Staat hat es nötig, seinen Bürgern mit solchen Texten die Privatisierung schmackhaft zu machen. Denn die meisten Rumänen und Rumäninnen hegen gegenüber der beginnenden Massenprivatisierung Zweifel. Obwohl es gesetzlich versprochen war, haben sie fünf Jahre lang vergeblich darauf gewartet, 30 Prozent des Staatseigentums geschenkt zu bekommen. Wenig mehr als 1.000 kleinere Staatsbetriebe – nur ein Zehntel des gesamten Staatsvermögens – wurden bisher an die Belegschaft oder Investoren verkauft.

Nun soll es doch losgehen. Seit Anfang August geben Behörden die Losungen für die Massenprivatisierung aus: „Hol dir den Kupon! Nation bedeutet Aktion!“ Phase eins: Wer bis Ende Dezember 18 Jahre alt wird, kann sich bei der Post einen Privatisierungskupon im Wert von 975.000 Lei (672 Mark) abholen. Eine Liste mit knapp 4.000 zu privatisierenden Staatsunternehmen – entsprechend 30 Prozent des Staatseigentums – erscheint.

Phase zwei: Von Anfang Oktober bis Ende Dezember sucht sich der Kuponbesitzer aus der Liste Unternehmen seiner Wahl und beantragt bei einem der fünf „Privateigentumsfonds“ den Tausch des Kupons in Aktien. Phase drei: Von Mitte Januar bis Ende März werden die Aktien verteilt. Sie können danach an der Wertpapierbörse gehandelt werden. Wer sich für kein Unternehmen entschieden hat, kann seinen Kupon bei einem Investitionsfonds hinterlegen, bei dem der Kuponbesitzer dann Teilhaber wird.

Der einzelne kann kaum überprüfen, was er kauft

Was so einfach klingt, war schon in den vergangenen zwei Wochen der Phase eins voller Schwierigkeiten – etwa bei der Verteilung der Kupons: Entweder waren nicht genügend Kupons geliefert worden, oder es herrschte Unklarheit, ob beim Abholen nur der neue oder auch der alte Personalausweis verwendet werden darf.

Zudem ist die Liste der zu privatisierenden Unternehmen noch immer nicht veröffentlicht worden. Unter den 4.000 Unternehmen befinden sich offenbar zahlreiche, die mit Verlust arbeiten oder denen der baldige Bankrott droht. Die Regierung hat zwar versprochen, sie von der Liste zu streichen und durch profitable Unternehmen zu ersetzen. Zu überprüfen ist das für den einzelnen jedoch kaum.

Und selbst wenn die Bilanzen der Unternehmen schwarze Zahlen aufweisen, muß das noch kein Beweis ihrer Wirtschaftlichkeit sein. Denn die meisten rumänischen Staatsbetriebe sind untereinander mit gigantischen Summen verschuldet und wurden häufig subventioniert. Ein Index, wie etwa eine Wertpapierbörse, der über die Lage der Unternehmen Auskunft geben könnte, existiert nicht – die Aktien können ja erst nach ihrer Ausgabe an der Börse gehandelt werden.

Aber nicht nur deshalb bezeichnen unabhängige Ökonomen das Privatisierungsprogramm als „populistische Betrügerei“. Sie kritisieren auch, daß damit keine wirkliche Privatisierung der rumänischen Wirtschaft erreicht wird. Die auf zentrale Staatswirtschaft fixierte Regierung des Ministerpräsidenten Nicolae Vacaroiu hat zu diesem Zweck das System der „Autonomen Regiebetriebe“ erfunden. Das sind als „strategisch und national wichtig“ erklärte Unternehmen, deren Eigentümer auch in Zukunft der Staat bleibt. Sie machen derzeit etwa 50 Prozent des Staatsvermögens aus.

Während der Staat ihr Überleben gesichert hat, stehen bei der Massenprivatisierung noch zahlreiche Fragen offen. So ist nicht in Erfahrung zu bringen, was geschieht, wenn sich für einen Betrieb mehr Interessenten melden, als Aktien zu vergeben sind. Die Regierung hat für Millionen ratloser Rumänen fünf Informationstelefone eingerichtet. Dort lautet die Auskunft: „Irgendwann, in ein paar Wochen, legt die Regierung die Methoden fest. Sie können es dann in der Zeitung nachlesen.“

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