Japans Verbeugung vor den Siegern

Regierungschef Murayama entschuldigt sich für die Greueltaten der Soldaten seines Landes im Zweiten Weltkrieg. Ganz Asien feiert die japanische Kapitulation vor 50 Jahren  ■ Aus Tokio Georg Blume

Der Sozialdemokrat Tomiichi Murayama wird zweifellos als guter Mann in die Geschichte eingehen. Am 50. Jahrestag der japanischen Kapitulation entschuldigte er sich für die Kriegstaten der eigenen Nation: „In der Hoffnung, daß solche Fehler nie wieder begangen werden, (...) gebe ich hiermit meine tiefe Reue kund und drücke meine von Herzen kommende Entschuldigung aus“, erklärte Murayama gestern in Gedenken an Japans „Kolonialismus und Aggression“ und „die leidenden Völker so vieler Länder“.

Doch über die Vertrauenswürdigkeit der Worte Murayamas gab es gestern unterschiedliche Meinungen. „Japan muß erst noch ehrlich mit seiner Vergangenheit ins Gericht gehen“, forderte Südkoreas Staatspräsident Kim Young Sam gestern auf einer Großveranstaltung in Seoul zum 50. Gedenktag der Befreiung vom japanischen Kolonialismus. Der australische Premierminister Paul Keating hingegen gab sich zufrieden: Murayamas Worte könnten „alle Völker der Erde befriedigen“, lobte er. Auch der philippinische Staatspräsident Fidel Ramos pries die Geste des japanischen Premiers.

Symbolische Aktion in Südkorea

Indessen lud die japanische Niederlage vor 50 Jahren die Menschen in ganz Ost- und Südostasien zu Siegesfeiern und Demonstrationen ein. Die größte Teilnehmerzahl wurde aus Nordkorea gemeldet, wo hunderttausend Menschen bei den offiziellen Siegersfeiern unter roten Fahnen Tänze aufführten. Zehntausende hatten sich auch in Seoul versammelt, als ein Baukran begann, das Regierungsgebäude der japanischen Kolonialherren vor den Türen des alten koreanischen Königspalasts einzureißen. Ziegel für Ziegel und Stein für Stein soll das verhaßte Bauwerk nun abgetragen werden – als symbolische Wiederholung der Befreiung, aber auch als zeitgemäße Zustandsbeschreibung der koreanisch-japanischen Beziehungen im 50. Jahr nach dem Krieg.

Etwas weniger melodramatisch ging es in Hongkong zu, wo Gewerkschaftler eher routinemäßig gegen den japanischen Imperialismus demonstrierten, und in Australien, wo 15.000 Kriegsveteranen in Volksfeststimmung eine Siegesparade abhielten. Dort hatte man zudem nicht übersehen, daß sich der japanische Botschafter persönlich mit einer Kriegsschulderklärung in der Canberra Times an die Australier gewandt hatte. Überraschend versöhnliche Töne hörte man unter den von den japanischen Truppen systematisch zwangsvergewaltigten Frauen, die vor der Tokioter Botschaft in Manila protestierten: Die Frauen bedankten sich für Murayamas Entschuldigung, während sie nun um so mehr auf ihren Entschädigungsforderungen an den japanischen Staat beharrten.

Nur wenige Stimmen drangen indessen aus China in die Ohren der Kriegsverlierer. Von dort hatte Staatspräsident Jiang Zemin in einem Interview mit der japanischen Tageszeitung Asahi die Japaner überraschend in Schutz genommen: „Ich glaube, daß die Japaner aller Schichten und solche Staatsmänner, die weitsichtig agieren, die Geschichte richtig verstehen und entsprechend mit ihr umgehen.“ Jiang Zemin verzichtete im Gegensatz zur üblichen chinesischen Position darauf, von Japan eine ausdrückliche Kriegsschulderklärung zu verlangen. Kurz zuvor hatte die chinesische Polizei eine Pressekonferenz von Kriegsopfern aufgelöst, die von Japan Entschädigung fordern.

Von allen Ländern am widersprüchlisten aber gedachte Japan des 50jährigen Kriegendes. Das Dilemma zeigte sich schon in der Regierungsmannschaft: Denn kaum hatte Maruyama seine historische Erklärung verlesen und hatte der Tokioter Regierungssprecher betont, daß die ganze Regierung hinter den Worten ihres Premiers stehe, da fanden sich auch schon die ersten Minister beim umstrittenen Yasukuni- Schrein in Tokio als Ehrengäste ein – ausgerechnet dort, wo Tokios schlimmste Kriegsverbrecher samt der 2,6 Millionen im Krieg getöteten Japaner geehrt werden. Zu den Besuchern aber zählte auch Ryutaro Hashimoto, der populäre Liberaldemokrat und Wirtschaftsminister, den Beobachter gute Chancen einräumen, Murayama noch in diesem Jahr abzulösen.