■ Fischer und Cohn-Bendit auf Kriegskurs? Ihr Ruf nach dem Militär, meint Kerstin Müller, sei zynisch und absurd
: „Wenn Fischer sich durchsetzt, dann wäre das für die Grünen verheerend“

taz: Frau Müller, Gratulation! Ihre Partei ist bald regierungsfähig. Die schnelle Eingreiftruppe um Schoppe, Fischer, Cohn-Bendit und Antje Vollmer ist bereit zum Äußersten: militärische Aktionen.

Kerstin Müller: Das wird von einer kleinen Minderheit in der Partei vertreten. Bloß weil Herr Fischer nun ein Papier vorgelegt hat, gibt es für die Grünen keinen Grund, in der Bosnien-Frage eine andere Position zu vertreten als vor einem Monat. Ich bin auch heute noch gegen eine Militärintervention in Bosnien. Wer die fordert, der muß auch genau sagen, wie er sich das bitteschön vorstellt.

Ihr Kollege Luger Volmer sieht das so: Fischer, nimm die Knarre und geh da runter!

Und, hat er damit nicht recht? Wer nach Krieg und Militäreinsatz ruft, der muß sich diese berechtigte Polemik gefallen lassen. Die Frage ist doch: Warum ist bisher nichts geschehen? Warum will keine der dort involvierten Regierungen im Moment Truppen stationieren? Weil die am Konflikt beteiligten Nationen absolut unterschiedliche, nationale Interessen verfolgen – mit zum Teil katastrophalen Folgen. Fischers Überlegungen haben nichts mit realen Optionen zu tun.

Vielleicht geht es ihm mit seinem Papier um etwas ganz anderes: Es ist das Bewerbungsschreiben fürs Amt des Außenministers.

Das ist sehr böse, was Sie da sagen, aber...

...so sieht es etwa die FAZ und lobt Fischers staatsmännischen Realitätssinn: „Wer Außenminister werden will, der muß auch Gewalt als politische Option anerkennen.“

Wenn das die Voraussetzung ist für eine Regierungsbeteiligung, nein danke, dann ist das für die Bündnisgrünen verheerend. Wir haben gute Gründe für eine Außenpolitik der Selbstbeschränkung. Wir haben gute Gründe, weshalb wir auf eine nicht militärisch gestützte Außenpolitik setzen, auf Prozesse im Rahmen der OSZE und den schrittweisen Austritt aus der Nato. Nein, ich sehe das gänzlich anders als Fischer: Der Bosnien-Konflikt zeigt wieder einmal – und das fürchterlich erschreckend –, daß Militär als Mittel der Politik versagt und unzählige Opfer fordert.

Angesichts der schrecklichen Bilder...

...habe ich ein Stück Zerrissenheit in mir. Es gibt wohl niemanden, der nicht irgendwann mal gedacht hat: Kann da nicht das Militär dazwischengehen? Nein, kann es nicht. Militäreinsätze sind eben nicht konfliktlösend. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr einer Eskalation des Krieges.

Wahrscheinlich geht es bei dem Grünen-Streit darum: Wieviel an identitätstiftender Moral und Tugend muß ich aufgeben, um mich für die Machtteilnahme in Deutschland zu rüsten – der zweitstärksten Waffenexportnation.

Wenn ein Mitglied der Grünen die Grundlinien unserer pazifistschen Außenpolitik umformulieren will...

Fischer will das.

..., um die Grünen regierungsfähig zu machen, dann heißt das noch lange nicht, daß die Partei da mitzieht. Nein, Bosnien zeigt, daß wir auf eine politische Lösung drängen müssen. Und wer Grün wählt, dafür kämpfe ich, kann davon ausgehen, daß es klare Abrüstungsschritte gibt. Für mich ist die Nato auch kein friedensstiftendes Bündnis, also auch kein Mittel grüner Außenpolitik.

Die Nato auflösen, die Nato ablösen – alles Quatsch, sagt Ihr Kollege Fischer.

Ja, mein Gott, was will er denn? Was will er konkret im Fall Bosnien? Was will er mit seinem Papier im Hinblick auf grüne Außenpolitik? Das muß er ganz genau sagen. Bisher bleibt er in seinen Antworten merkwürdig blaß.

Für mich haben die Großmächte dort politisch versagt – das muß von grüner Seite kritisiert werden. Jetzt nach dem Militär zu rufen, ist nicht nur zynisch, sondern auch absurd.

Wenn ich mein Kreuzchen hinter die grüne Partei setze, was heißt das? Wähle ich den bellizistischen Interventionskurs um Cohn-Bendit und Co? Wähle ich die Friedfertigen?

Fischer und Cohn-Bendit setzen sich nicht durch. Wir haben ein klares Programm, eine klare Beschlußlage. Ich möchte, daß die Grünen weiter eine Stimme der Friedensbewegung sind. Das heißt: Militär ist kein Mittel der Politik.

Die Süddeutsche Zeitung teilt Ihre Hoffnung nicht. Sie schätzt Fischer als einen schlauen Fuchs ein, der sich nur auf Konflikte einläßt, die er auch gewinnt.

Ob seine Rechnung aufgeht, bezweifle ich. Er sollte auch mal darüber nachdenken, wen er mit seinen Vorstößen noch erreicht.

Beispielsweise den schwarz- grünen Heiner Geißler. Fischer, preist der, sei in Sachen Militäreinsätze viel weiter als die SPD.

Genau, da mag Heiner Geißler ja recht haben. Nur steht mir in dieser Frage ein Lafontaine wesentlich näher. Warum ist derjenige moralisch überlegen, der nach dem Militär ruft? Wer das tut, diskreditiert das friedenspolitische Engagement – auch unserer Partei – auf verheerende Art und Weise.

Im Klartext: Wenn Fischer sich durchsetzt, spalten sich die Grünen.

Nein. Dieses Papier spaltet die Partei nicht. Ich bin da gelassen.

Der Grünen-Wähler Bernd Fleicher teilt Ihre Gelassenheit nicht. „Wenn sich Fischers Kurs durchsetzt“, schreibt er in einem Leserbrief an die taz, „dann sind die Grünen so weit wie jede andere Partei, gerade in der Kriegsfrage. Für mich als Kriegsdienstverweigerer gibt es dann nichts mehr zu wählen.“

Nochmals: Ein Papier wird die Programmlage der Partei nicht ändern. Den Gedanken an Spaltung finde ich abwegig. Dennoch: Ich habe schon Bauchschmerzen, wie in unserer Partei in den letzten Wochen diskutiert wird. Wenn sich Fischer durchsetzt, dann wäre das verheerend. Fischer muß jetzt konkretisieren, was er genau will. Militärischer Schutz der Schutzzonen – was heißt das? Will er auf die Nato als Kriseninterventionstruppe setzen? Dazu muß er sich unmißverständlich äußern. Ich jedenfalls finde es – gerade in dieser zentralen Frage – fatal, unsere Programmatik zu ändern, bloß um des Mitregierens willen. Interview: Arno Luik