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Orientierungspunkt Störfall

Der Reaktorblock A von Biblis widerspricht jeder atomrechtlichen Genehmigung. Er soll trotzdem noch zwanzig Jahre Strom liefern  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Die Bonner Umweltministerin verbietet der Hessischen Landesregierung, das Kraftwerk abzustellen. Einer der zwei Reaktorblöcke steht trotzdem still. Ein Rohrstück leckt und muß untersucht werden. Dagegen kann Angela Merkel nichts sagen, die Landesregierung ist für die Sicherheitsüberprüfung zuständig.

Davon muß Commander Neil Burnett nichts wissen. Er kennt das Atomkraftwerk nur aus der Vogelperspektive. Wenn er in Erbenheim, dem „Home of the Eagles“, seinen Helikopter mit den zwei Rotoren startet, um vier andere Hubschrauber zur Airbase von Ramstein zu geleiten, ist es schon fast dunkel. Die Formation fliegt über den Main und dann am Rhein entlang bis zum markantesten Punkt in der flachen Uferlandschaft: den Blöcken A und B des AKWs Biblis im südhessischen Ried. Mit ihren Scheinwerfern und Positionslichtern strahlen sie wie ein Weihnachtsbaum und sind deshalb seit Jahren der Orientierungspunkt für die Hubschrauber der US-Army.

Über Biblis wird der Kurs korrigiert: hart nach Westen, dann über die rheinhessischen Rüben- und Rebenhügel in die Pfalz nach Ramstein. Commander Neil Burnett wird nicht wissen, daß der Block A des AKWs Biblis nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist. Und wenn er es wüßte, wäre es ihm wahrscheinlich egal. Schließlich fliegt er einen Helikopter und keinen Jumbo-Jet. Doch ob der Betonmantel um den Reaktor einen Absturz seines doppelrotorigen Kommandohubschraubers aushalten würde, weiß kein Mensch – weder bei der US-Army noch bei den Rheinisch-Westfälischen Elekrizitätswerken (RWE) in Essen, der Betreibergesellschaft der Reaktorblöcke von Biblis. Notlanden mußten die Hubschrauber bereits mehrfach. Zuletzt direkt an der Gesamtschule „Mainspitze“ in Ginsheim mit ihren rund 1.200 Schülern. Und nach Zeugenaussagen von Lehrern seien die Helikopter mit scharfer Munition ausgerüstet gewesen.

Wenn Karl Hummel im Frühsommer seinen Spargel sticht, dröhnen im oft die Ohren vom Fluglärm. Hummel weiß dann, daß auf dem Rhein-Main-Flughafen wieder einmal „alles dicht“ ist. Die Maschinen aus aller Welt fliegen ihre Warteschleifen über dem Ried. Und sie fliegen hart am AKW Biblis A vorbei, in deren Sichtweite auch die Spargeläcker von Hummel liegen. Er hat sich an „die Dinger“ gewöhnt, auch wenn ihm die Reaktoren nach wie vor „irgendwie unheimlich“ sind. Und mutiert seien seine Spargel auch noch nicht, sagt Hummel. Seit zwanzig Jahren gehöre sein Spargel schon zur Handelsklasse „Erste Sorte“. Ökospargel könne er zwar nicht anbieten. Aber das liege nicht an der leicht erhöhten, aber nach Angaben von RWE und auch der Atomaufsichtsbehörde weit unter den Grenzwerten befindlichen Radioaktivität in der Umgebung der Atomkraftwerke. Schuld seien eher die Schadstoffe aus den Schornsteinen der Giftmüllverbrennungsanlage der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) in Biebesheim.

Auch unter Hummel hat die Erde schon gebebt – wenn auch nur leicht. Sein Haus in einer Riedstadtgemeinde hat Risse in den Wänden, sogenannte Setzrisse. Die entstanden nicht nach den Erdbeben der letzten Jahre, sondern sind Resultat der dramatischen Absenkung des Grundwasserspiegels im hessischen Ried. Die hessische Landesregierung hat den Hausbesitzern mit „Setzrißschäden“ inzwischen Entschädigungen in Aussicht gestellt. „Setzrißschäden“ an den AKWs wurden (noch) nicht festgestellt, obgleich auch in Biblis der Grundwasserspiegel sank und Rheinwasserversickerungsanlagen gebaut werden mußten. Dafür gab es dann „Haarrisse“ im stählernen Rohrleitungssystem – und zuletzt auch noch Risse in den Ventilen.

Daß der Block A von Biblis nicht hinreichend gegen Erdbeben gesichert ist, wußte die zunächst beim hessischen Wirtschaftsministerium angesiedelte Atomaufsicht von Anfang an. Mit sogenannten Rütteltischversuchen hatten die Betreiber vor der Errichtung die Standfestigkeit ihres 1.200-Megawatt-Reaktors getestet. Und die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde unter dem ermordeten Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry (FDP) war seinerzeit mit den „Rütteltischversuchen“, mit denen heute kein Verwaltungsgericht der Welt mehr einer angefochtenen Genehmigung das Plazet erteilen würde, hochzufrieden. Gerade wegen der mangelnden Erdbebensicherheit konnte das RWE-AKW Mülheim- Kärlich nicht in Dauerbetrieb genommen werden. Und dabei ist der Reaktor bei Koblenz am Rhein tatsächlich gegen Erdbeben bis zu einer gewissen Stärke ausgelegt – der Block A in Biblis dagegen überhaupt nicht. Wie Mülheim- Kärlich liegt Biblis im erdbebengefährdeten Rheingraben. Bislang konnte im Verfahren um Mülheim-Kärlich vor dem Oberverwaltungsgericht in Konblenz kein Experte ausschließen, daß es nicht auch im Rheingraben zu Erdbeben einer Intensität kommen könnte, gegen die das AKW nicht ausgelegt ist. Immerhin reiben sich im Rheingraben zwei Erdplatten aneinander. Block Biblis A dürfte bei einem Erdbeben von weit geringerer Intensität als in der Genehmigung für das AKW Mülheim-Kärlich angenommen bereits zerbröseln. Dann – so die hessische Umweltministerin Iris Blaul (Bündnisgrüne) – schütze die drei Millionen Menschen im Rhein- Main- und Rhein-Neckar-Raum kein Katastrophenplan mehr.

Daß RWE den Reaktor nach der Inbetriebnahme mehrfach so umgebaut hat, daß er nicht mehr dem 1974 atomrechtlich genehmigten Stand der Dinge entspricht, wurde dem hessischen Wirtschaftsminister Klaus Hoffie (FDP) dagegen erst 1981 mitgeteilt. Mit einer Aktennotiz wischte Hoffie die Bedenken seiner Fachleute vom Tisch. Ohnehin, so glaubte Hoffie noch, laufe das AKW nur noch maximal zehn Jahre – bis 1991.

Doch Hoffie hatte die Zeitrechnung ohne den Wirt RWE gemacht. Ohne Option auf den Bau von Biblis-Block C – nach der überraschenden Beteiligung der Bündnisgrünen an der hessischen Landesregierung – bestand RWE nach darauf, ihren A-Reaktor noch bis zum Jahre 2014 weiterbetreiben zu können.

Als die Experten der heute amtierenden Umweltministerin auf die Aktennotiz von Hoffie stießen, glaubte Iris Blaul, den entscheidenden Hebel zur Aushebelung von Biblis-Block A gefunden zu haben. Der Reaktor, so Blaul, stehe – nach den Veränderungen auch im Kernbereich der Anlage – ungenehmigt im Ried. Denn nach dem Atomgesetz hätten die Um- und Ausbauten neue Genehmigungsverfahren benötigt. Doch die Kraftwerker von RWE mußten sich nicht lange grämen. Nur Stunden nachdem Umweltministerin Blaul die drei Stillegungsverfügungen für Block A ankündigt hatte, meldete Bundesumweltministerin Angela Merkel die sofortige Aufhebung derselbigen an – Bundesrecht bricht Landesrecht. Schon Joschka Fischer wollte Block A stillegen – Bundesumweltminister Klaus Töpfer nicht. Fischers Nachfolger Rupert von Plottnitz scheiterte mit den Stillegungsplänen an der Bundesumweltministerin Angela Merkel.

Als 1989 die Chance am größten schien, den störanfälligen Reaktor stillzulegen, war in Hessen allerdings kein Bündnisgrüner amtierender Umweltminister. Karlheinz Weimar (CDU) beschränkte sich darauf, 49 Auflagen zu erlassen, nachdem es knapp zwei Jahre zuvor fast zu einem GAU gekommen wäre. Als das „Ereignis“ (RWE) stattfand, verschwieg es die Presseabteilung. Die Chancen von Kommander Neil Burnett, etwas über den gerade noch verhinderten GAU zu erfahren, waren größer als die von Umweltminister Weimar. Daß es zu einem E-Störfall gekommen war, stand zwei Jahre danach in einer US-amerikanischen Fachzeitschrift – und nicht im Pflichtbericht von RWE.

Weimar war sauer und schickte den RWE die Liste der 49 Nachbesserungsauflagen. Die wichtigste: der Bau einer verbunkerten Notstandswarte. Von dort aus soll der Reaktor auch dann noch abgeschaltet werden können, wenn die Bedienungsmannschaft schon ausgefallen ist. Mehr als sechs Jahre sind seither vergangen. Geschehen ist nichts.

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