piwik no script img

Weltklasse im Staub

„Null Publikum“ bei den Deutschen Meisterschaften der behinderten LeichtathletInnen  ■ Aus Wattenscheid Ralf Köpke

Horst Beyer, Paralympics- Sieger im Fünfkampf und Weltrekordler im Diskuswurf bei den Oberschenkelamputierten, wischte sich wütend den Schweiß von der Stirn: „Hier ist die gesamte Weltklasse am Start, und wir starten hier auf einem staubigen Nebenplatz vor null Publikum, was absolut demotivierend ist.“ Viel mehr Zuschauer hätten aber auch im Wattenscheider Lohrheide-Stadion nicht den Wurf von Beyers Mannschaftskollegen Roberto Simonazzi gesehen, der mit 40,66 Meter nur 18 Zentimeter unter dem Weltrekord blieb. Mit Leichtathletik-Veranstaltungen scheint der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) in letzter Zeit kein Glück zu haben. Wie schon bei den letztjährigen Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin fanden auch die nationalen Titelkämpfe (mit internationaler Beteiligung aus 17 Nationen) unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.

Hausgemachte Fehler gab es auch dieses Mal: So wurden erst knapp eine Woche vor der DM die Werbeplakate fertig, eine vorbereitende Pressearbeit fand so gut wie gar nicht statt. Kein Wunder, daß die gedruckten Eintrittskarten überhaupt nicht ausgepackt werden brauchten.

Als Entschuldigung mag vielleicht gelten, daß die Behindertensport-Abteilung des TV Wattenscheid 01 kurzfristig für den überforderten Behinderten-Sportverband Hessen in die Bresche gesprungen war. „Es wäre mehr als peinlich gewesen, wenn die Meisterschaften geplatzt wären“, sagte Rositha Hellmann, Cheftrainerin der körperbehinderten Leichtathleten. Denn die Titelkämpfe zählen zu den fünf offiziellen Wettbewerben, bei denen die DBS-Aktiven die Qualifikationsnormen für die Paralympics im nächsten Jahr in Atlanta erreichen müssen. „Da bereits Ende April 96 unsere Paralympioniken namentlich für Atlanta gemeldet sein müssen, ist es illusorisch zu glauben, daß die Aktiven dann bereits in einer so guten Frühform sind“, so Hellmann.

Allerdings sorgten die Qualifikationsnormen, die das International Paralympic Committee (IPC) zusammen mit den amerikanischen Ausrichtern festgelegt hat, für Verstimmung in Wattenscheid. „Wir Oberschenkelamputierten müssen im Weitsprung 4,50 Meter nachweisen, doch diese Weite schaffen weltweit nur zwei Athleten“, empört sich Gunther Belitz, Paralympics-Sieger 1992. Generell wurden für alle Disziplinen die Ergebnisse der Drittplazierten bei der letztjährigen IPC-Weltmeisterschaft zur Norm erklärt. „Damit wollen die Veranstalter in den USA die Starterfelder aus finanziellen Gründen bewußt klein halten“, vermutet Hans Josefiak, neugewählter Abteilungsleiter der DBS-Leichtathleten. Beim IPC hat er erfolglos gegen diese „kalte Aussperrung“ protestiert. Was nicht überrascht: Zwar ist der DBS mit über 250.000 Mitgliedern weltweit der größte Behindertensportverband, doch er hat kaum Einfluß auf internationaler Ebene.

Cheftrainerin Rositha Hellmann, Anfang der achtziger Jahre DDR-Meisterin im Diskuswurf, zeigt sich von dieser Diskussion unbeeindruckt: „Wenn ich Leistungssport im Behindertensport will, dann muß ich auch diese Normen knacken.“ Sie wird aller Voraussicht nach nur mit potentiellen Medaillen-Kandidaten nach Atlanta reisen. Um ihren Paralympics-Kader besser vorbereiten zu können, hofft sie, ein Trainingslager in Portugal finanziert zu bekommen. Wie die rund 70.000 Mark zusammenkommen sollen, ist ein großes Geheimnis.

Neidisch kann Helllmann da nur auf ihren australischen Kollegen Chris Nunn blicken. Um Wettkampferfahrungen zu sammeln, ist Nunn mit 15 Aktiven drei Wochen lang in der Bundesrepublik und den USA unterwegs. Schon als Vorbereitung für die Paralympics in Sydney 2000 bekommen auch die behinderten Aktiven großzügige Unterstützungen. Für seinen Sieg bei der IPC-WM in Berlin erhielt Diskuswerfer John Eden eine Prämie von circa 15.000 Mark. „Bis wir solche Gleichberechtigung bei uns erleben, müssen wir noch lange warten“, gibt sich Rositha Hellmann zweckoptimistisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen